Ersparnisse finanzieren keine Investitionen (auch nicht im Ausland)

16.05.2023

Michael Pettis ist bekannt für seine Analysen zu China und sein Buch zu Handelskriegen. Während seine Analysen die Institutionen sehr gut wiedergeben, birgt seine realwirtschaftliche Analyse ein hohes Fehlerpotential in einer Welt, in der Geld fundamental wichtig ist.

Michael Pettis analysiert, wie auch Olivier Blanchard und Gregrory Mankiw, die Welt mit einer realwirtschaftlichen Brille. Das bedeutet, dass Geld in dieser Analyse keine wirkliche Rolle spielt – es ist „neutral”. Die realwirtschaftliche Analyse sucht nach Erklärungen beispielsweise für den Immobilienboom in Spanien und die Exportüberschüsse in Deutschland. Warum hängen diese zusammen?

Wenn ein Land im internationalen Handel mehr Geld durch Exporte einnimmt als es ausgibt für Importe, erzielt es einen Handelsbilanzüberschuss. Dieser schlägt sich in einem Zuwachs des finanzielle Nettovermögens nieder. Die Unternehmen bekommen für die Exporte Euros auf dem Bankkonto. Sie können damit ihre Geldschulden reduzieren, sie erhöhen ihr Geldvermögen oder sie kaufen mit dem Geld andere Finanzanlagen (darum "finanzielles Nettovermögen“). Die Kausalität scheint klar: die deutschen Netto-Exporte nach Spanien, welches durch einen Immobilienboom höhere Wachstumsraten erzielt als Deutschland, führen zu einem gleichzeitigen Zuwachs an finanziellen Nettovermögen.

Nicht so bei Michael Pettis - hier führen die HartzIV-Reformen der Bundesregierung von 2003-2005 dazu, dass das Vermögen („savings”) der Deutschen ansteigt. Da aber die deutschen Investitionen nicht anstiegen, führten die höheren deutschen Ersparnisse zu höhere Investitionen (und geringerer Ersparnis) im Ausland, namentlich in Spanien. Dazu ist anzumerken, dass Ersparnisse keine Investitionen finanzieren. Hier wird eine Kausalität in statistische Größen hineingelesen, die es in der realen Welt nicht gibt. Wie inzwischen auch Zentralbanken immer wieder bestätigen, werden Investitionen kreditfinanziert, also durch die Schöpfung von Zahlungsversprechen der Banken in staatlicher Währung (was übrigens auch für die Finanzierung durch Anleihen und Aktien gilt).

Es ist daher eine höchst seltsame Idee, dass in Deutschland die Ersparnis über die Investitionen steigt. Wenn also die Haushalte und Unternehmen den Überschuss ihrer Einkommen über die Ausgaben erhöhen, wo ist denn dann die Gegenposition? Wer hat denn die Ausgaben noch weiter über die Einnahmen gesteigert? Die Gegenposition zur steigenden Ersparnis muss sofort da sein, denn in einer Wirtschaft entspricht die Höhe der Gesamteinnahmen jeder Zeit der Höhe der Gesamtausgaben. Niemand kann eine Ausgabe tätigen, ohne das gleichzeitig eine Einnahme in gleicher Höhe anfällt. Wenn also Michael Pettis schreibt, dass die Überschussersparnis exportiert wurde durch ein Handelsbilanzdefizit, dann vertauscht er meiner Meinung nach die Kausalität. Nettoexporte führen zu Nettofinanzüberschüssen, nicht andersherum!

Abgesehen davon werden hier Stromgrößen mit Bestandsgrößen verwechselt. Das englische „saving” ist eine Stromgröße, sie entspricht der Ersparnis, nämlich dem Einkommensüberschuss innerhalb einer Periode (meist ein Jahr, also z.B. 2023). Das Wort „savings” hingegen entspricht dem Vermögen, welches eine Bestandsgröße ist, denn sie wird zu einem Zeitpunkt (z.B. am 31.12.2023) gemessen. Laut der volkswirtschaftlichen Buchhaltung entsprechen die Investitionen immer der Ersparnis, also dem „saving”, und nicht den „savings”, so wie Pettis argumentiert.

Die Diskussion über die Geldtheorie, die ich in den letzten Wochen auf meinem Blog begleitet habe, hat also fundamentale Auswirkungen für die Analyse von wirtschaftlichen Ereignissen. Während Michael Pettis die deutschen Ersparnisse in der Folge der HartzIV-Reformen für den Immobilienboom verantwortlich macht, sehe ich das Problem im Bankensektor in Spanien. Die dortige Kreditvergabe war stark erhöht, die Banken meinten, dass sie risikofrei zocken würden. Immobilienkredite, welche zurückgezahlt wurden, würden den Banken einen Zins bringen. Wird nicht zurückgezahlt, fällt die Immobilie an die Bank, welche diese versteigern kann. Bei steigenden Immobilienpreisen haben viele Banken da kein Risiko mehr gesehen und gingen „all in”, mit den bekannten Folgen.

Wie in vielen anderen Bereichen führen also realwirtschaftliche und monetäre Analyse zu gegensätzlichen Ergebnissen und entsprechend auch zu gegensätzlichen Empfehlungen. Nun könnte man ja sagen, dass es doch gut ist, zwei Perspektiven auf ein Problem zu haben. Allerdings würde ich dem entgegnen, dass die monetäre Analyse sowohl Geld- wie auch Güterströme betrachtet. Die nachweislich falsche Interpretation der realwirtschaftlichen Analyse, beruhend auf längst widerlegten Ideen über Banken als Intermediäre und den „steuerfinanzierten“ bzw. „schuldenfinanzierten” Staat, trägt nichts zu Erkenntnis bei, ja schlimmer noch, lenkt von der korrekten Analyse ab. 

Die 2000er Jahre der Eurozone waren geprägt von Immobilienbooms in Spanien und Irland, die dann Ende des Jahrzehnts implodierten. Die deutschen HartzIV-Reformen haben in Deutschland Löhne reduziert und auch Beschäftigung. Sie waren sicherlich nicht vorteilhaft für die ArbeitnehmerInnen, aber sie haben weder den Immobilienboom in Spanien noch den in Irland ausgelöst. Schuld daran waren ganz alleine das Bankensystem und die Regulierung - inklusive der geringe Zins der EZB und die Erwartung von mehr Niedrigzinsen - sowie natürlich die Nachfrage nach Kredite durch Haushalte und Unternehmen. Leider hat die EU bis heute keine nennenswerte Aufklärung über diese Finanzkrise, während die Financial Crisis Inquiry Commission in den USA einen dicken Report zusammentrug.