Sind ausufernde Staatsschulden schlecht?

15.01.2024

In einer Präsentation eines Mainstream-Ökonomen in den USA vermischen sich Ideen der MMT und des Mainstreams zu einem kafkaesken Cocktail. Dies zeigt deutlich, dass eine teilweise Übernahme der MMT in den Mainstream keine gute Idee ist.

Die obige Folie kommt von Eric Tymoigne, der eine Konferenz in den USA besuchte und einem Vortrag eines Kollegen lauschte (es sind also nicht seine Folien), der dem sog. Mainstream zuzuordnen ist – noch. Die Modern Money Theory (MMT) ist inzwischen soweit auf dem Vormarsch, dass sie weder zu ignorieren noch zu leugnen ist. So tauchen auf der Folie Frankenstein-Theorien auf, eine Mischung aus falsch verstandenen Aussagen der MMT und falschen Aussagen des Mainstreams. In diesem Artikel will ich anhand der Folie kurz kommentieren, warum eine Mischung aus MMT und Mainstream nicht „funktioniert“ (zu Widersprüchen und kognitiven Dissonanzen führt).

Den Titel habe ich im Blogtitel ja schon übersetzt, es geht um die Frage „ausufernder Staatsschulden“ (outsized sovereign debt). Der erste Satz ist schon gleich problematisch. Fiskalischer Spielraum ist weder in den MMT noch in der Realität „unbegrenzt“, da es bei dem Konzept um Ressourcen geht. Kann der Staat über Ausgaben Ressourcen unbegrenzt an sich ziehen? Nein, denn die Bürger verkaufen dem Staat nur eine begrenzte Anzahl an Ressourcen. Die staatlichen Ausgaben sind nominal (als in Zahlen) theoretisch unbegrenzt möglich, aber das ist etwas anderes als „fiscal space“. Diese verquere Aussage ist aber typisch für den Mainstream, da er zwischen Geld und Ressourcen nicht unterscheidet. (Eine Replik in den PWP auf einen MMT-Artikel argumentiert übrigens genau so.)

Im zweiten Satz wird behauptet, dass der unbegrenzte fiskalische Spielraum zu ausufernden Staatsschulden führt. Dies Aussage ist seltsam, denn Staatsausgabensteigerungen erhöhen ja nicht automatisch die Staatsverschuldung, nämlich die Differenz zwischen Staatsausgaben und Steuereinnahmen über alle Zeiten. Gerade wenn man das Ganze dann noch durch das BIP teilt, dann müsste man als Ökonom eigentlich schon verstehen, dass Staatsausgaben in das BIP eingehen und damit auch der Nenner größer wird, wenn der Staat mehr Geld ausgibt. So würde ich auf Basis der MMT argumentieren, dass Länder mit hoher Staatsquote – über die ich letzte Woche etwas geschrieben hatte – keine überdurchschnittlich hohe Staatsverschuldung haben. Der Kollege, der die Folie oben erstellt hat, wäre sicherlich anderer Meinung. Hier ein Blick auf die Staatsverschuldung / BIP nordischen Länder, die alle eine hohe Staatsquote haben:

  • Dänemark: 33%

  • Finnland: 59%

  • Norwegen: 37%

  • Schweden: 35%

Diese Werte liegen alle unterhalb der 60 Prozent des Maastricht-Vertrages und sind damit deutlich unterdurchschnittlich. Die Folie beginnt also meiner Meinung nach mit zwei Aussagen, von denen die erste theoretisch und praktisch falsch ist und die zweite Aussage empirisch falsch. (Theoretisch ist es denkbar, dass Länder mit mehr Staatsausgaben höhere Staatsschulden haben.) Der Autor macht nun weiter mit den ausufernden Schulden und nennt 7 Punkte, warum diese ein Problem wären. Diese punkte werde ich nun kurz nennen (in fett) und erläutern, warum sie in der Praxis kein Problem darstellen.

  1. Limitierte Möglichkeit, die Staatsausgaben zu erhöhen. Das ist augenscheinlich nicht der Fall, wenn wir uns die Realität angucken. In der Eurozone gab es 2019 Länder mit niedriger und Länder mit hoher Staatsverschuldung. In der Pandemie wurden überall die Ausgaben erhöht, der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde ausgesetzt. Griechenland lag 2020 bei mehr als 210 Prozent Staatsverschuldung, was nah an Japan lag (etwa 230-250 Prozent). 
  2. Finanzmärkte können nichts unbegrenzt Staatsanleihen kaufen. Auch das ist empirisch falsch. In keinem Land wurde dies während der Pandemie (oder davor) zu einem Problem. Staatsausgaben schöpfen zusätzliches Geld, und damit können in gleicher Höhe Staatsanleihen gekauft werden. Zudem kann die Zentralbank per Ankaufprogramm/QE/Offenmarktgeschäft Reserven erzeugen, mit denen dann Staatsanleihen gekauft werden können. Die Zentralbank kann ihre Fazilitäten so anpassen, dass die Händler (dealer) immer an Geld kommen, damit sie Staatsanleihen kaufen können.
  3. Ausländer diversifizieren ihre Portfolios. Ausländer kaufen keine Staatsanleihen von der Regierung, denn diese werden am Primärmarkt an eine Gruppe von Banken verkauft, die in der jeweiligen Währungszone ansässig sind. Wer die „gebrauchten“ Staatsanleihen dann kauft, ist für die Regierung irrelevant.
  4. Höheres Risiko einer Insolvenz. MMT erklärt, dass die Zentralbank das Monopol auf die Währung hat. Nur sie kann diese in Umlauf bringen. Die Zentralbank wurde durch ein staatliches Gesetz erzeugt und hat meist den Auftrag, als Hausbank des Staates zu agieren. Solange es keine Staatsanleihen in ausländischer Währung gibt, ist das Risiko einer Insolvenz null, wenn die Zentralbank die Regierung unterstützt. (Dies war 2010 nicht der Fall, als die EZB Griechenland die Unterstützung versagte.)
  5. Abwertung des Ratings und höhere Zinsen. Die Zinsen der Staatsanleihen korrelieren mit den Zinsen der Zentralbank, die eine Politikvariable sind. Es ist ein Mythos, dass „bond vigilantes“ Regierungen zwingen könnten, höhere Zinsen zu zahlen. Diese werden von der Zentralbank und nur von dieser festgelegt. Sie kann jederzeit entscheiden, durch Ankäufe von Staatsanleihen die gesamte Zinsstrukturkurve zu bestimmen.
  6. Verdrängung privater Investitionen. Wenn der Staat mehr Geld ausgibt, kauft er mehr Güter und Dienstleistungen von privaten Unternehmen und zahlt mehr Löhne, die auch für mehr Nachfrage sorgen. Höhere Staatsausgaben führen also sehr wahrscheinlich auch zu mehr privaten Investitionen. Dies erkennen wir heute an den USA und der Eurozone. In den USA wird viel Geld ausgegeben durch die Regierung Biden, die privaten Investitionen sind hoch, der Immobilienmarkt ist stabil. In Deutschland und der Eurozone fallen die Ausgaben des Staates, die privaten Investitionen und die Immobilienpreise sinken. Der Staat benutzt sein eigenes Geld, während Unternehmen sich Geld bei Banken und über Finanzmärkte leihen. Dadurch führen steigende Staatsausgaben nicht zu einem steigenden Zins und damit gibt es auch keine Verdrängung privater Investitionen.
  7. Generiert Inflation. Ein geradezu groteskes Argument. Jeder kennt das Beispiel Japan, mit einer Staatsverschuldung von über 200 Prozent. Das Land kämpft seit Jahrzehnten mit Deflation. Ein Anstieg der Staatsverschuldung ist meist, wie in der Pandemie, eine Folge von geringer Produktion. Diese aber findet meist in Zeiten von geringer Inflation statt, denn bei niedriger Nachfrage bleibt kein Spielraum für Preiserhöhungen (außer die Kosten steigen).

Die Folie zeigt meines Erachtens nach, dass eine Symbiose aus Mainstream und MMT wohl zu Frankenstein-Theorien führt und dass es daher besser wäre, MMT komplett zu übernehmen. Alle die Punkte, die ich in den Spiegelstrichen genannt habe, sind in den letzten 25 Jahren in den MMT-Literatur diskutiert worden. Es gibt keinerlei Grund, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ignorieren.