Zentralbankkredite ohne Sicherheiten in der Schweiz

03.04.2023

In der Schweiz vergibt die Zentralbank Kredite ohne Sicherheiten. Das ist ein Bruch mit traditioneller Zentralbank-Doktrin. Was wären die Alternativen? Was sind die Folgen?

In einem Artikel der NZZ hieß es im März:

Noch vor wenigen Tagen hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass ausgerechnet die «konservative» SNB bei der Liquiditätsvergabe an Banken auf das Hinterlegen von Sicherheiten verzichtet. Am 16. März um 20 Uhr, als eine bundesrätliche Notverordnung in Kraft trat, wurde dieses geldpolitische Tabu aber gebrochen. Die CS und die UBS können seither Blankokredite bei der SNB beziehen. Als die Behörden am 19. März die Übernahme der CS durch die UBS verkündeten, hiess es zwar, dass die beiden Banken insgesamt bis zu 100 Milliarden Franken beziehen könnten.

Warum ist das ein Problem?

Die originäre Aufgabe von Banken ist die Kreditanalyse. (Fiskalischer Agent des Staates ist übrigens die Zentralbank, insofern gehört die Staatsfinanzierung nicht zu den Aufgaben der Banken.) Wie schon Schumpeter vor mehr als einem Jahrhundert beschrieb, bestimmen die Banker, welche Kredite an Unternehmen und Haushalte vergeben werden. Damit bestimmen sie auch über die Frage, welche langfristigen Investitionen getätigt werden. Damit verbunden bekommen die Banken das Privileg der Schöpfung von Zahlungsverpflichtungen in staatlicher Währung eingeräumt: Bankguthaben. Damit ein Schweizer Franken als digitales Guthaben bei der Bank auch als Bargeld ausgezahlt werden kann oder eine Zahlung per Überweisung damit möglich ist, brauchen Banken den Anschluss an das staatliche Zahlungssystem.

Nun könnte man meinen, dass die Zentralbanken einfach so viel Zentralbankgeld über Kredit zur Verfügung stellen, wie nachgefragt wird, aber das ist nicht der Fall. Für Zentralbankkredite brauchen Banken Sicherheiten. Dazu gehören beispielsweise Anleihen von Unternehmen und Staaten. Die Zentralbank will sich so gegen Verluste schützen, denn wenn eine Bank einen Kredit nicht zurückzahlen kann, bekommt die Zentralbank die Sicherheit. Da Zentralbanken allerdings nicht insolvent werden können – es gibt schlicht kein Insolvenzrecht für Banken – und auch nicht illiquide – sie können ja immer die Guthaben der Banken im Rahmen ihrer Instrumente erhöhen – gibt es eigentlich keinen Grund für eine solche Beschränkung der Kreditvergabe der Banken.

Es gibt allerdings einen sehr guten Grund, die Kreditanalyse der Banken genauer anzuschauen. Wenn eine Bank ständig Kredite vergibt, die nicht zurückgezahlt werden, dann versagt sie in der Kreditanalyse. Das aber ist ihre wesentliche Aufgabe. Wenn sie diese nicht zufriedenstellend erfüllt, sollte die Bank geschlossen werden. Die Aufsichtsbehörden achten auch darauf, dass bei den Banken die Forderungen (Aktiva) höher sind als die Verbindlichkeiten (Passiva). Wenn das nicht der Fall ist oder die Entwicklung dorthin geht, kann die Aufsichtsbehörde die Bank schließen.

Die Situation in der Schweiz ist daher etwas ungewöhnlich. Wenn eine Bank nicht genügend Sicherheiten hat für Zentralbankkredite ist das ein deutliches Zeichen für eine drohende Illiquidität oder Insolvenz. Die Illiquidität hat die SNB jetzt abgewendet, indem sie Zentralbankkredite ohne Sicherheiten zur Verfügung gestellt hat. Das ganze wird keine inflationäre Wirkung haben, denn die SNB kann keine Zentralbankguthaben (Reserven) an Haushalte und Unternehmen weiterverleihen. 

Das Problem ist ein Problem der Wirtschaftsordnung. Die Regeln im Geldsystem sollen dafür sorgen, dass nur die Banken Kreditanalyse betreiben, die dies auch können. Das Ergebnis, an dem sie gemessen werden, ist ihre Bilanz. Wenn also die SNB jetzt eine Bank am Leben erhält, die eigentlich geschlossen werden müssten, dann sollte es dafür gute Gründe geben. Laut NZZ-Artikel ist die Credit Suisse „systemrelevant“. Dabei handelt es sich allerdings um ein sehr politisches Konzept ohne größeren wissenschaftlichen Wert. Die Alternative zur Systemrelevanz ist die Nationalisierung der Bank. Die problematischen Teile der Bank würden dann abgewickelt werden, die profitablen Teile der Bank entweder verkauft oder als neue Credit Suisse wieder auf den Markt zurückgelassen werden.

Im Hintergrund steht hier also die politische Entscheidung, eine Bank mit ausbleibendem wirtschaftlichen Erfolg zu „retten” (durch einen Merger mit der UBS) anstatt diese abzuwickeln. Es ist aber nicht Aufgabe einer Regierung, unprofitable private Unternehmen zu retten. Dies kann in Ausnahmesituationen der Fall sein, bedarf aber einer Begründung. „Systemrelevanz“ ist eine Ausrede und keine Begründung. Auch eine Umfrage unter Schweizer Ökonomen hat ergeben, dass fast die Hälfte für die Abwicklung gewesen ist.

Die wirtschaftliche Dynamik des privaten Sektors ist der Grund, warum die privaten Banken das Privileg der „Geldschöpfung“ erhalten. Sollte aber diese wirtschaftliche Dynamik nicht entstehen, dann gibt es auch keinen Grund für den Staat, ineffiziente private Banken zu dulden. Aaron Sahr (2022, S. 327-8) schreibt:

Die Privatisierung monetärer Souveränität hat – wie im vorherigen Kapitel gesehen – zu einer Entkopplung von Geldproduktion und Wohlstandszuwachs, zu Instabilität und zu zunehmender Ungleichheit geführt. Diese fatale Bilanz hat zahlreiche Vorschläge zu einer Reform der moderne monetären Maschine provoziert, die angesichts der dreifachen Zahlungskrisen der öffentlichen Hand – Finanzkrise ab 2008, Coronakrise ab 2020 und Klimakrise – an Dringlichkeit kaum zu übertreffen sind.

Insofern kann die Krise der Credit Suisse auch als Teil des Versagens der monetären Maschine gesehen werden. Wichtige „systemrelevante“ Banken kommen im 21. Jahrhundert mit ihren Konzepten unter die Räder, weil ihre Kreditanalyse nicht mehr zu den realen Ergebnissen (Produktivitätswachstum, Gewinne der Unternehmen, gute Arbeitsplätze, etc.) führen, die eine solche Machtposition rechtfertigen. Sie erinnern an einen alternden Fussballstar, der trotz mangelnder Leistung immer wieder aufgestellt wird. Irgendwann allerdings muss der Trainer eingreifen und einen anderen Spieler bringen. Da sich das Spiel verändert, könnte es auch an der Zeit sein, eine neue Taktik zu wählen und bei der Auswahl des neuen Spielers andere Fähigkeiten zu verlangen.

Ob Credit Suisse, UBS und die Schweiz sich einen Gefallen getan haben mit der „Rettung” des CS wird sich zeigen. Im schlimmsten Fall wurde ein System aufrechterhalten, welches nicht in der Lage ist, heutige gesellschaftliche Probleme zu lösen – oder sogar Teil des Problems ist.