Was sind Inflationserwartungen und wen interessiert das?

21.10.2022

Inflationserwartungen werden immer wieder angeführt als wichtiger Bestandteil der Geldpolitik. Das theoretische Argument ist allerdings schwach und auch heute sehen wie, dass sich Erwartungen an die Realität anpassen und nicht andersherum. Es scheint keine Rolle für Inflationserwartungen in der Geldpolitik zu geben. Wichtig sind die Veränderungen der Kosten wie Energiepreise und Löhne, die von Unternehmen standardmäßig über höhere Preise auf die KonsumentInnen abgewälzt werden.

Inflationserwartungen spielen in neueren makroökonomischen Modellen eine zentrale Rolle, die sich auch im wirtschaftspolitischen Diskurs niederschlägt. So sammelt die EZB Daten über die Erwartungen von KonsumentInnen, die Nachrichten von Reuters berichten über die Inflationserwartungen britischer Unternehmen. Die Bibel der Zentralbanker, "Interest and Prices" von Michael Woodford aus 2003, beschreibt "Central Banking as Management of Expectations" (Kap. 2.1). Tamborini et al (2022) haben sich ebenfalls mit der Rolle von Inflationserwartungen beschäftigt. Sie kommen zu folgendem Ergebnis:

"Die Ergebnisse empirischer Studien über die Rolle der Inflationserwartungen für das Verhalten von Haushalten und Unternehmen sind uneinheitlich. Wahrscheinlich sind sie durch das jeweils herrschende Inflationsklima bedingt: Eine niedrige und stabile Inflation kann niedrige und stabile Erwartungen begünstigen und den Einzelnen dazu veranlassen, die Auswirkungen der aktuellen und künftigen Inflation auf seine wirtschaftlichen Entscheidungen zu vernachlässigen. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die Inflation ansteigt, denn dann kann die Nichtberücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Inflation zu großen Verlusten führen."

Bei der Federal Reserve wurde im September 2021 ein Papier veröffentlicht, in dem sich Jeremy Rudd mit der Thematik auseinandersetzt. Seiner Meinung nach sind Inflationserwartungen wichtig, weil sie in theoretischen Modellen eine wichtige Rolle spielen. Die Zentralbank versucht sich dann tatsächlich am Management der Inflationserwartungen und zielt nicht auf die tatsächliche Inflation. Allerdings, so Rudd, ist der theoretische Aufbau nicht überzeugend und die Empirie widerspricht der Idee, dass Inflationserwartungen eine starke Rolle spielen.

Neukeynesianische Modelle (nach Woodford), die übrigens so gut wie gar nichts mit Keynes zu tun haben, postulieren einen "trade-off" von Outputlücke und Inflation. Liegt der aktuelle Output deutlich unter dem potentiellen Output, so ist die Output-Lücke groß und die Inflation ist niedrig. Liegt der aktuelle Output nah am potentiellen Output, so wird dies annahmegemäß mit steigender Inflation erkauft. Das Problem mit diesen theoretischen Argumenten ist, dass sie empirisch widerlegt sind. Nach dem Modell müssten sinkende Arbeitslosigkeitsraten in den USA z. B. zu steigender Inflation führen, was wir aber nicht sehen:

Wenn die blaue Linie und damit die Arbeitslosigkeit fällt, müsste die rote Linie - die Inflation - ansteigen, damit die Theorie recht behält. Dies ist aber nicht der Fall. Im Aufschwung zwischen den (grauen) Rezession bleibt die Inflationsrate fast immer sehr stabil, sackte im letzten Aufschwung im Jahr 2015 sogar auf unter null. Ein "trade-off" zwischen Outputlücke und Inflation ist nicht zu erkennen.

Wie hier dann die Inflationserwartungen eine Rolle spielen sollen, ist daher nur schwer nachzuvollziehen. Theoretisch könnte im Aufschwung die Erwartung einer höheren Arbeitsnachfrage dazu führen, dass die Unternehmen steigende Löhne erwarten, die sie über steigenden Preise an die KonsumentInnen weitergeben. Allerdings ist das bis auf 2021-2022 seit Jahrzehnten nicht mehr passiert. Zudem lässt sich argumentieren, dass sich die Erwartungen an die Realität anpassen und nicht andersherum. Egal, was die Firmen erwarten, höhere Löhne und andere Kosten werden in höhere Preise überwälzt.

Wichtig  für die Inflation scheint also die Entwicklung der größten Kostentreiber zu sein: Löhne, Energie und Rohstoffpreise, dazu gibt es noch den Gewinnaufschlag der Unternehmen. Diese Art der Erklärung der Inflation ist sehr viel stärker in der Realität verankert als die luftige Figur der Inflationserwartungen.