Was ist der Plan der EZB?

27.10.2022

Die EZB hat gestern beschlossen, den Leitzins und die weiteren Zinssätze um 0,75 Prozent auf zwei Prozent angehoben. Die Strategie der EZB ist allerdings widersprüchlich und es ist nicht klar, wie höhere Zinsen die Inflation absenken sollen. Die EZB sollte ihre Strategie deutlich machen.

Die Lehrbücher erklären, dass höhere Zinsen zu weniger Investitionen führen, weil ja die Kosten der Investition durch höhere Zinsen steigen. Nimmt man konstante Erlöse an, werden bei steigenden Zinsen einige Investitionen unrentabel. Allerdings könnten die Unternehmen einfach die höheren Zinskosten weitergeben an die KonsumentInnen, indem sie die Preise erhöhen. Schließlich ist die Nachfrage - sprich: Kaufkraft - ja da, die Produkte könnten abgesetzt werden. Welches Unternehmen will da den Markt den Mitbewerben überlassen?

Diese Überlegungen klären auf, dass die Geldpolitik nicht sofort wirksam werden kann. Zinserhöhungen führen wohl kurzfristig nicht dazu, dass Investitionen aufgeschoben werden. Einige Unternehmen erzielen gerade Rekordgewinne, so wie Audi (Teil von VW). Warum sollten die nicht investieren in neue Automodelle oder effizientere Produktionsanlagen?

Tendenziell führen Zinserhöhungen zu steigenden Zinszahlungen des Staats an die BesitzerInnen der Staatsanleihen. Zwar werden nur die neuen Staatsanleihen, die jetzt verkauft werden, höher verzinst, aber dennoch öffnet sich hier ein neuer Ausgabenkanal der Bundesregierung. Sie zahlt immer mehr Zinsen an Haushalte, Finanzmarktunternehmen und Banken. Dieses Geld kann gespart werden, neu angelegt werden, aber auch für Güter und Dienstleistungen verausgabt werden. Gleichzeitig führen höhere Zinsen dazu, dass sich Hypotheken verteuern. Damit fließt mehr Einkommen von Schuldnern zu Gläubigern, die normalerweise weniger von ihrem Einkommen ausgeben. Dies könnte tendenziell die Nachfrage dämpfen. Wie die beiden Effekte zusammen wirken, ist unklar.

Ein weiterer Grund für Zinserhöhungen der EZB ist die Idee, den Wechselkurs des Euros gegenüber dem Dollar zu stabilisieren. Denn da, so die Theorie, sollten die Importpreise fallen, da mit einem Euro ja jetzt mehr Dollar gekauft werden können. Alles, was international in Dollar gehandelt wird, so wie Erdöl, müsste dann billiger werden für die, die in Euro bezahlen. Allerdings ist auch dieser Wirkungskanal in der Realität viel weniger klar als in der Theorie, wie folgende Abbildung zeigt.

Der Euro fällt seit 2021 gegenüber dem Dollar, wobei die Zinsen in der Eurozone inzwischen so schnell steigen wie in den USA. Da auch andere Währungen gegen den Dollar fallen, scheint dies kein europäisches Phänomen zu sein. Wahrscheinlich entscheiden in Krisenzeiten sich viele InvestorInnen für den Dollar, weil damit z.B. Erdöl gekauft werden kann. Dieser Status als "safe haven" ist bekannt, und dem ist mit Zinserhöhungen in der Eurozone wahrscheinlich nicht beizukommen.

Die Erwartungen in der Eurozone sind derart, dass die meisten mit einer Rezession rechnen. Entweder am Jahresende oder spätestens 2023, so wird vermutet, wird das BIP zurückläufig sein. Ob dann die Energiepreise zurückgehen steht auf einem anderen Blatt. Sehr wahrscheinlich ist also eine Stagflation, die Mischung aus Stagnation (Rückgang des BIP) und Inflation (Anstieg der Konsumentenpreise). In den USA hingegen brummt die Wirtschaft, die im 3. Quartal jetzt wieder schneller gewachsen ist. Demnach ist also zu erwarten, dass die Fed die Zinsen auch 2023 erhöhen wird, während die EZB wohl ihre Zinserhöhungen einstellen wird, da es ja bereits zu einer Rezession gekommen sein wird. 

Damit würde der Dollar weiter auf- und der Euro weiter abwerten - der Wechselkurskanal ist also dann blockiert. Die Frage ist vielmehr, warum dann eine Leitzinserhöhung in der Eurozone überhaupt notwendig war. Eine Rezession in der Eurozone war ja bereits vorher zu erwarten. Warum dann den Zins noch erhöhen? Auf die Energiepreise hat dies ja keine Wirkung, die die werden von Kartellen wie OPEC+ gesetzt, welche dabei sicherlich nicht auf den Leitzins der EZB schauen. Also kommt die Frage auf, warum die EZB den Leitzins erhöhen musste? Hat sie damit nicht überreagiert, so wie Anfang der 2010er Jahre Trichet, der den einmaligen "rebound" der Energiepreise als Zeichen für dauerhafte Inflation fehlinterpretierte? Die damalige Zinserhöhung stürzte die Eurozone zusammen mit der katastrophalen Austeritätspolitik in eine Rezession.

Auch die fiskalische Seite ist unklar. Im Guardian wurde gestern folgendes geschrieben:

Fiskalische Stützung ist aber gut, gleichzeitig sollen aber die "policy makers" dafür sorgen, dass die hohen Schuldenstände - gemessen am BIP - heruntergebracht werden? Was ist denn damit gemeint? Sollen die Staatsausgaben hoch, um das BIP zu erhöhen? Sollen sie runter, was sicherlich nicht zu niedrigeren Staatsschulden führt, denn dann bricht die Wirtschaft ja noch weiter ein, was sich auf die Steuereinnahmen negativ auswirkt?

Bereits im September schrieb das WSJ, dass die Strategie der EZB nicht konsistent ist. Seitdem ist die Lage nur noch unklarer geworden. Die EZB sollte sich enger mit der Fiskalpolitik abstimmen, auch wenn das so in der Eurozone gar nicht vorgesehen ist. Und sie sollten klar formulieren, was sie sich von den aktuellen Zinserhöhungen erwartet. Ansonsten könnte es so aussehen, als wenn die EZB die Eurozone absichtlich in eine Stagflation führt. Und das in einer Welt, in der die Pandemie immer noch unsere Gesellschaften vor Probleme stellt und die Ukraine und Russland sich im Krieg befinden.