Warum sinkt die Kreditmenge in der Eurozone?
In der Eurozone geht die Menge der Kredite an den privaten Sektor zurück. Peter Bofinger macht hohe Zinsen dafür verantwortlich. Die gibt es aber auch in den USA und dort brummt die Wirtschaft. Es sind die Staatsausgaben, welche die Investitionen ausbremsen.
Der obige Tweet von Peter Bofinger ist typisch für die keynesianische Sicht auf die Wirtschaft. Die Zinsen der Zentralbank sind es, worum die gesamte Wirtschaft kreist. Ihre Veränderung löst tektonische Verschiebungen aus, wobei steigende Zinsen deutlich besser wirken (als Bremse) als sinkende Zinsen (als Schwunggeber). Allerdings fällt bei der Lektüre der Wirtschaftsnachrichten auf, dass in den USA die Zinsen ja auch hoch sind - und dort brummt die Wirtschaft!
Die Bruttoanlageinvestitionen in den USA entwickeln sich positiv, trotz höherer Zinsen dort wie hier. Woran liegt es? Genau wie auch die Eurozone haben die USA am Anfang der Pandemie auf „Big Fiscal“ gesetzt, auf eine deutliche Erhöhung der Staatsausgaben zur Stabilisierung von Beschäftigung und BIP. Während aber unter der Regierung Biden die Sache durchgezogen wurde, kam es in Deutschland mit dem Tandem Scholz/Lindner zu einer Rückkehr zur Schuldenbremse – nicht ganz freiwillig, denn die Klage der CDU mit dem Urteil des BVG leitete das Ende der expansiven Fiskalpolitik ein.
Ein Blick in die Daten zeigt dann auch gleich, dass Deutschland kein Einzelfall war in der Eurozone (unten). Die Staatsausgaben in 2022/Q4 waren ein Höchststand, 2023 ging es dann runter. Erst im letzten Quartal wurde der Vorjahreswert wieder erreicht. Derartige Kürzungen der Staatsausgaben führen dennoch zu weniger Einnahmen des nicht-staatlichen Sektors, darunter auch der Haushalte. Erzielen diese ein geringeres Einkommen, dann werden sie wohl auch weniger ausgeben. Damit sinken vor allem die Konsumausgaben, was dazu führt, dass der Absatz lahmt. Das reduziert die Lust der Unternehmen, in neue Produkte, Maschinen, Werke und Modernisierungen zu investieren.
Es sind also die zu niedrigen Staatsausgaben und nicht die hohen Zinsen, welche für die maue Kreditmenge und die damit verbundene maue Investitionstätigkeit sorgen. Wer das beheben möchte, der sollte dringend die Staatsausgaben erhöhen. Wer hingegen darauf wartet, dass die EZB die Zinsen absenkt, der könnte wertvolle Zeit verlieren für den Einsatz des Instruments der Fiskalpolitik. Vielleicht gibt die aktuelle politische Situation nicht mehr her, aber die makroökonomische Theorie ist unbarmherzig. Ohne höhere Ausgaben keine höheren Verkäufe, ohne höhere Verkäufe keine höheren Investitionen (wobei der Immobilienmarkt sich auch mal ein paar Jahre von der Realwirtschaft entkoppeln kann).
Zinssenkungen wirken zudem nachfragereduzierend, da die Staatsanleihen dann niedriger verzinst sind. Nach den Erfahrungen mit den Nullzinsen der 2010er Jahre, als die europäische Wirtschaft nur nach dem Ende der Austeritätspolitik wieder aus dem Loch kam, sollte das Vertrauen in expansive Zinssenkungen etwa so hoch sein wie jenes in „fiskalische Konsolidierung“.