Warum ist eine stabile Inflationsrate gut?

15.12.2022

Die aktuell erhöhte Inflationsrate, ein Symptom gestiegener Importpreise für Energie, hat das Interesse an der Inflation wiederbelebt. Zentralbanken zielen auf niedrige und stabile Inflationsraten. Warum eigentlich?

Warum sind das Preisniveau und seine Veränderung so wichtig? Es gibt drei große Themen, die von Änderungen des Preisniveaus betroffen sind (und die selbst Änderungen des Preisniveaus beeinflussen können):

  • Verteilung
  • Produktion
  • Internationaler Handel

Die Verteilung der Kaufkraft verändert sich mit der Inflationsrate. Steigende Inflation führt dazu, dass die Kaufkraft des Geldes sinkt. Hier muss allerdings sofort eingeschränkt werden, dass es gut sein kann, dass Löhne oder Zinsen zusammen mit der Inflation steigen. Eine Inflationsrate von zehn Prozent ist bei zehn Prozent Lohnwachstum und zehn Prozent Zins ganz anders zu bewerten als bei 3 Prozent Lohnwachstum und 3 Prozent Zins. Für die Kaufkraft sind also nicht nur die Preise entscheidend, sondern auch die in Euro gemessenen nominalen Einkommen. Wichtig also für die RentnerInnen ist die Entwicklung der nominalen Renten, durch die bei jeder Inflationsrate die Kaufkraft stabilisiert werden kann.

Ein Anstieg der Inflationsrate ist zudem gut für diejenigen, die nominale Schulden (in Euro, nicht inflationsbereinigt) zu zahlen haben. Zu dieser Gruppe können Haushalte gehören, die mit Krediten Immobilien gekauft haben, und Unternehmen, die Kredite aufgenommen haben, um in (naher) Zukunft zu produzieren und zu verkaufen. Außerdem wirkt sich eine Änderung des Preisniveaus auf die Kaufkraft eines beliebigen (gesparten) Geldbetrags aus.

Eine Änderung des Preisniveaus hat auch Auswirkungen auf die Produktion. Während ein Anstieg des Preisniveaus bedeutet, dass die Gewinne der Unternehmen in die Höhe getrieben werden - sie kaufen billig ein, produzieren und verkaufen teuer -, kann der gegenteilige Effekt für die Produktion katastrophal sein. Sinkende Preise zehren die Gewinne der Unternehmen auf, bis die Produktion überhaupt nicht mehr rentabel ist. Wenn das Produkt eines Unternehmens nicht zu einem Preis verkauft werden kann, der zumindest die Produktionskosten deckt, dann macht es selbst bei Nullzinsen keinen Sinn, Geld zu leihen, um mehr Inputs zu kaufen.

Die Auswirkungen von Deflation und Inflation sind in Branchen am größten, in denen die Produktion relativ teuer ist und die Kunden auf Deflation mit einer geringeren Nachfrage reagieren. Im Falle einer Deflation kann dies zu Situationen führen, in denen die Erwartung fallender Preise ausreicht, um potenzielle Kunden davon zu überzeugen, nicht zu kaufen (um später zu kaufen, wenn die Preise noch niedriger sind), was zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führt. Da niemand kauft, müssen die Produzenten die Preise weiter senken. Da die Menschen erwarten, dass die Preise noch weiter fallen werden, werden sie auch bei niedrigeren Preisen nicht kaufen. Dasselbe kann passieren, wenn die Preise steigen und die Menschen bestimmte Kategorien von Waren und Dienstleistungen kaufen, weil sie erwarten, dass die Preise weiter steigen. Dies ist in vielen Situationen des Wirtschaftsbooms zu beobachten, häufig bei Immobilienblasen.

Auch für den internationalen Handel ist Inflation wichtig. Bei Systemen mit festen Wechselkursen werden durch erhöhte Inflationsraten die eigenen Produkte teurer und alles aus dem Ausland wird billiger. Dadurch wird wohl ein größerer Teil der Nachfrage auf ausländische Güter fallen. Bei flexiblen Wechselkursen ist das Bild nicht so klar. Höhere Inflationsraten können, müssen aber nicht zu Abwertungen der Währung führen. Daher ist die Auswirkung auf den internationalen Handel weitaus unklarer.

Im Endeffekt ist eine stabile Inflationsrate gut, weil sie erstens die bestehende Verteilung zementiert, zweitens die Produktion dann mit weniger Unsicherheit behaftet ist und drittens auch die internationale Wirtschaft so stabil gehalten wird. Haushalte und Unternehmen mögen keine Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Preise. Am besten ist es immer, wenn diese sich möglichst wenig ändern. Unternehmen tätigen Investitionen, welche jahrelange Erträge nach sich ziehen. Diese sind schwer abzuschätzen, wenn die Inflationsrate stark schwankt. So könnte ein Unternehmen aufgrund der Unsicherheit von der Investition Abstand nehmen.

Auch die Haushalte können mit stabilen Preisen besser umgehen als mit volatilen Preisen. Sie würden bei stärkerer Inflation weniger von ihrem Einkommen ausgeben, um für den Notfall auf mehr Erspartes zurückgreifen zu können. Weniger Ausgaben führen aber zu geringeren Einkommen und zu weniger Produktion. Die Arbeitslosigkeit könnte dadurch steigen. Allerdings ist es durch die richtige makroökonomische Wirtschaftspolitik möglich, diesen Effekt zu neutralisieren, indem der Staat mit höheren Ausgaben gegensteuert.

Wie die Abbildung oben zeigt, gibt es zwischen dem Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes und der Inflationsrate für Deutschland keine belastbare Korrelation. Von daher scheint die Aussage, dass höhere Inflationsraten zu weniger Wachstum führen, empirisch keine Grundlage zu haben. Da üblicherweise die Inflationsrate mit dem Lohnwachstum stark korreliert, ist dies nicht überraschend. Starkes Lohnwachstum verzeichnen wir in Aufschwungphasen und nicht in Abschwung- oder Schwächephasen. Allerdings gilt dies schon seit Jahrzehnten nicht mehr, denn selbst die ständig fallenden Arbeitslosenquoten in den 2010er Jahren haben weder das Lohnwachstum noch die Inflationsrate erhöht.