Sollte die VWL zerschlagen werden?

09.09.2024

Die Financial Times überrascht jüngst mit einem Artikel zur Frage, ob die Volkswirtschaftslehre an den Universitäten zerschlagen werden sollte. Es geht um Gatekeeping, Gruppendenken und Pluralismus.

Ein zentraler Absatz des Artikels in der FT (€) lautet (übersetzt mithilfe von DeepL):

„Es spricht einiges dafür, dass ein enges Gatekeeping und eine steile Hierarchie des Ansehens ein Gruppendenken fördern, das von einer sich selbst erhaltenden Priesterschaft überwacht wird. Schließlich gibt es in der Wirtschaftswissenschaft selbst Modelle - von Informationskaskaden bis hin zum Herdenverhalten -, die erklären, wie der entscheidende Einfluss einiger weniger minderwertige Ergebnisse festigen kann. Wenn Karriereanreize und sozialer Druck den Einfluss auf eine kleine Gruppe konzentrieren, sollten weder große politische Fehler noch kleinliche persönliche Beschimpfungen jemanden überraschen.“

Mit „Gatekeeping“ ist hierbei gemeint, dass akademische Fachzeitschriften dafür sorgen, dass z.B. keine Fachartikel zu Modern Money Theory oder von Autoren dieser Denkschule dort publiziert werden, nur um später darauf hinzuweisen, dass diese keine „Top-Publikationen“ hätten. Dabei wird die Ablehnung nicht mit sachlichen Argumenten begründet, sondern ist ideologischer Natur. Ich kennen einen Fall, bei dem ein Fachaufsatz abgelehnt wurde, weil er nicht in das „Profil der Fachzeitschrift“ passen würde. Auf gut Deutsch: Die Nachricht des Artikels kam nicht gut an.

Das ebenfalls im Artikel erwähnte Gruppendenken, engl. Group Think, wird bei Wikipedia wie folgt definiert:

„Gruppendenken ist ein möglicher Prozess innerhalb einer Gruppe. Kompetente Personen treffen dabei schlechtere oder realitätsfernere Entscheidungen, weil jede ihre Meinung an die erwartete Gruppenmeinung anpasst. Daraus können Situationen entstehen, bei denen die Gruppe Handlungen oder Kompromissen zustimmt, die jedes einzelne Gruppenmitglied unter anderen Umständen ablehnen würde.“

Der Artikel endet wie folgt:

"Es heißt, dass der Erfolg viele Eltern hat, während der Misserfolg keine hat. Das Gegenteil trifft auf die Wirtschaftswissenschaften zu: Ihre Unzulänglichkeiten sind, wie Ökonomen sagen würden, "kausal überdeterminiert" - viele Faktoren könnten daran schuld sein. Eine weniger konzentrierte Ökonomie könnte einfach mehr verstreutes Scheitern bedeuten. Dennoch lohnt es sich, an dem Grundsatz festzuhalten, dass pluralistischere Systeme besser und schneller in der Lage sind, sich selbst zu korrigieren, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissensproduktion.“

Dem kann ich nur zustimmen. Interessanterweise werden ja sogar die Papiere zur Geldschöpfung ausgeblendet, die von den Zentralbanken kommen. Selbst sie können dem Gruppendenken nicht entkommen. So finden sich in so gut wie allen Lehrbüchern immer noch die Behauptungen, dass Banken wahlweise Ersparnisse oder Reserven (Guthaben bei der Zentralbank) weiterverleihen würden an Haushalte und Unternehmen – dabei ist dies weder aus technischer noch aus juristischer Sicht möglich. Obwohl Papier der Bank of England (2014) und der Deutschen Bundesbank (2017) seit inzwischen zehn Jahren vorliegen und es eine riesige Literatur zu sog. endogenem Geld und zur MMT gibt, halten sich weiterhin Mythen wie der Geldmultiplikator und die Theorie der Banken als Intermediäre („fractional reserve banking“) in den Lehrbüchern. Auch im fiskalischen Bereich hakt es gewaltig – statt einer Erklärung des heutigen digitalen Geldsystems werden Theorien gelehrt, die auf einem Goldstandard-System mit festen Wechselkursen basieren.

Pluralistische Systeme sind vor allem deshalb erstrebenswert, so die FT, weil sie „besser und schneller in der Lage sind, sich selbst zu korrigieren, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissensproduktion“. Dem wäre nichts hinzuzufügen.