Paul Krugman und die aggregierte Nachfragekurve

08.01.2024

In einem Tweet weist Paul Krugman darauf hin, dass der Energiepreisschock durch das AD/AS-Modell dargestellt werden könne. Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch die theoretische Fundierung des Modells, insbesondere die der aggregierten Nachfragekurve, als brüchig. Das Modell ist zu mechanistisch, die Realität ist komplexer.

Aggregierte Nachfragekurve, Krugman und Wells (2006, S. 246)
Aggregierte Nachfragekurve, Krugman und Wells (2006, S. 246)

Paul Krugman, ein Vertreter der „neukeynesianischen Schule“, schrieb jüngst auf Twitter/X, dass das AD/AS-Modell die Fakten gut abbilden würde:

Was im Jahr 2023 geschah, war *exakt* das, was die Mainstream-Ökonomie als Ergebnis eines positiven Angebotsschocks vorhersagt - wie die Überwindung der anhaltenden Covid-Störungen durch die Wirtschaft. Es schien nur dann unmöglich, wenn man sich weigerte zu glauben, dass diese Störungen, ähm, vorübergehend waren 2/

In einer Abbildung dazu zeigt er, dass ein positiver Angebotsschock wie ein sinkender Ölpreis zu weniger Inflation und mehr Output führt. Auch wenn sich die Realität so entwickelt hat, ist es interessant, die Theorie der aggregierten Nachfragekurve besser zu verstehen. Diese verläuft fallend – eine höhere aggregierte Nachfrage korreliert also mit einem geringeren Preisniveau (siehe Abbildung oben) bzw., in der neuen Ausgabe des Lehrbuchs, mit einer geringeren Inflationsrate. Warum sollte bei einer höheren Nachfrage nach Güter und Dienstleistungen in der Gesamtwirtschaft die Inflationsrate oder das Preisniveau fallen?

Krugman schreibt in seinem Lehrbuch dazu (übersetzt mit www.DeepL.com/Translator, kostenlose Version):

Die Gesamtnachfragekurve

Die Gesamtnachfragekurve zeigt die Beziehung zwischen dem Gesamtpreisniveau und der nachgefragten Menge des Gesamtoutputs. Die Kurve ist aufgrund des Vermögenseffekts einer Änderung des Gesamtpreisniveaus und des Zinseffekts einer Änderung des Gesamtpreisniveaus abwärts geneigt. Entsprechend den tatsächlichen Daten von 1933 beläuft sich die Gesamtmenge der nachgefragten Waren und Dienstleistungen bei einem Gesamtpreisniveau von 8,9 auf 636 Mrd. $ in 2000 Dollar. Nach unserer hypothetischen Kurve wäre die nachgefragte Gesamtproduktionsmenge jedoch auf 950 Mrd. Dollar gestiegen, wenn das Gesamtpreisniveau nur 5,0 betragen hätte.

Diese Erklärung zeigt, dass die Veränderung des Preisniveaus zu einer Veränderung der aggregierten Güternachfrage führt. Warum? Weil die Menschen geringere Preise bezahlen, können sie sich mehr kaufen. Die Erklärung ist so einfach wie sie klar ist. Schauen wir nun auf die empirischen Daten zu den USA heute (sie umfassen die letzten 5 Jahre, denn es geht ja hier um die Pandemie). Wir haben in den folgenden Abbildungen das Preisniveau an der vertikalen Achse und das reale BIP an der horizontalen Achse.

Inflation und reales BIP-Wachstum
Inflation und reales BIP-Wachstum
Konsumentenpreisindex und reales BIP-Wachstum
Konsumentenpreisindex und reales BIP-Wachstum

Die Abbildungen oben widersprechen einer fallenden aggregierten Nachfragekurve. Nehmen wir das gute alte AD/AS-Modell, so wie es in fast allen Lehrbüchern erklärt wird (in meinem ist es nicht enthalten) und wie es auch bei Wikipedia steht, dann entspricht die untere Abbildung der AD-Kurve. Es wird ziemlich deutlich, dass sie *steigend* verläuft und nicht, wie in den Lehrbüchern angenommen, fallend. Ein höheres Preisniveau korreliert mit einem höheren realen BIP, nicht mit einem niedrigeren, wie bei Krugman im Makro-Lehrbuch (alte Auflage) beschrieben.

In der neuen Auflage, die noch nicht veröffentlicht ist, hat Krugman anscheinend einfach die Achsenbeschriftung geändert. Wo vorher ein "P" für Preisniveau stand, steht nun ein "π" für Inflationsrate. Die obere Abbildung zeigt die Korrelation von Inflation und realem BIP-Wachstum. Wie schon im ersten Fall sieht es nach einer steigenden AD-Kurve aus.

Nachdem wir nun die Realität angesehen haben, müssen wir nun eine Erklärung dafür finden. Warum verläuft die aggregierte Nachfragekurve steigend? Dieses empirische Faktum will erklärt werden, gerade weil auch eine Ausweitung der Datenmenge auf die gesamte Nachkriegszeit bis heute zum selben Ergebnis führt. Die kurze Antwort sollte lauten: Weil die Zentralbanken ein Inflationsziel von 2 Prozent haben, sollten Preisniveau und aggregierte Nachfrage sich zusammen entwickeln. Das kann nur dann passieren, wenn auch die Löhne ansteigen, denn dann können auch höhere Preise den Konsum nicht stoppen.

Aber kommen wir nochmals auf Paul Krugman und das AD/AS-Modell zurück (was anderswo als AS/AD-Modell bezeichnet wird, weil man unvernünftigerweise annimmt, dass das aggregierte Angebot zuerst da ist). In der Abbildung ganz oben aus dem Lehrbuch von Krugman und Wells wird anhand der Großen Depression der Steigung der aggregierten Nachfragekurve erklärt. Diese Erklärung klingt vielleicht logisch, aber man muss dazu wissen, dass die Jahre der Großen Depression, die auf den großen Crash von 1929 folgten, gleich in mehrerlei Hinsicht keine normalen Jahre waren. So wurden z.B. aufgrund eines Abkommens der Gewerkschaften und der Arbeitgeber die Löhne in dieser Phase weitestgehend konstant gehalten. So konnten die Arbeitnehmer tatsächlich mehr kaufen, wenn die Preise fielen. Allerdings ist das nie passiert – erstens blieben die Löhne und die Preise für Industrieprodukte weitestgehend stabil (Daflation gab es nur im landwirtschaftlichen Sektor und bei den Immobilien) und zweitens führten erst die direkten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Verbindung mit höheren Staatsausgaben aus der Krise und damit zu realem BIP-Wachstum.

Das AD/AS-Modell mag mathematisch „funktionieren“, und es lassen sich auch tolle Klaususuraufgaben dazu ausdenken. Allerdings taugt es meiner Meinung nach nicht zur Beschreibung einer Wirtschaft im 21. Jahrhundert. Wenn in der Realität das Preisniveau / die Inflation und das reale BIP-Wachstum positiv korrelieren (steigende Kurve), dann sollten die Lehrbücher diesen empirischen Fakt erklären und nicht auf ein Modell setzen, in dem eine Reduktion des Preisniveaus / der Inflationsrate zu einem höhere BIP-Wachstum führt (negative Korrelation).