Makroökonomik: Wirtschaftstheorie für das 21. Jahrhundert

25.10.2023

Diese Woche ist mein neues Lehrbuch bei Springer erschienen. Die Idee dazu hatte ich vor etwa zehn Jahren, 2015 ging es dann los mit dem Projekt. Worum es geht: Ich wollte Wirtschaft erklären aus der Sicht der Geldschöpfung. Woher kommt das Geld? Wer schöpft es wie und in welchem Ausmaß? Was passiert in der Zirkulation im Geldkreislauf? Wie werden Ziele wie Vollbeschäftigung und Preisstabilität erreicht? Das Buch eignet sich für Studierende am Anfang ihres Studiums und auch Laien, die nach einer Einführung in das Geldsystem aus einem Guss suchen.

Zuallererst möchte ich mich herzlich bei denen bedanken, die bei der Erstellung des Lehrbuchs mitgewirkt haben. Da wären als erstes Nora Valussi und Monika Mühlhausen zu nennen, die auf Seite von Springer das Projekt sehr kompetent und jederzeit ansprechbereit begleitet haben. Besonderen Dank gilt auch Stephanie Kelton (Stony Brook University, NY) und Dorothea Schäfer (DIW), die jeweils ein Vorwort beigesteuert haben. Ich freue mich sehr, so kompetente Hilfe zu haben von hochrangigen Ökonominnen aus Theorie und Praxis. Bedanken möchte ich mich bei meiner Familie, die jetzt mehr über Geld weiß, als sie je wissen wollte. Ebenso gilt mein Dank meinen Kolleginnen und Kollegen, die mich über die Jahre begleitet haben und mit denen ich Ideen, Theorien und Didaktik diskutiert habe. Ich habe alles, was in dem Buch steht, von ihnen gelernt und stehe fest auf ihren Schultern. Die Fehler im Buch gehen auch mich. 

Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei den Mitgliedern der Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie e.V., deren unermüdlicher Einsatz für die Aufklärung über die Funktionsweise des Geld- und Finanzsystems schon sehr viel mehr Früchte getragen hat, als wir uns das jemals hätten träumen lassen. Last but not least danke ich meinen Studierenden, die mit ihren Anmerkungen, kritischen Fragen und auch Glossen mitgeholfen haben, eine „Denkfaulheit” auf meiner Seite zu verhindern und mich selbst und die Theorien zum Geld immer wieder zu hinterfragen. Ohne diese Fragen wüsste ich z.B. nicht, wer überhaupt ein Konto bei der Europäischen Zentralbank hat, denn die Banken und Regierungsstellen haben ihr Konto ja bei der jeweiligen nationalen Zentralbank. 

Zurück zum Lehrbuch. Springer schreibt dazu:

  • Moderner mikro- und institutionsorientierter Bilanzansatz

  • Beinhaltet die neuesten Erkenntnisse in Bezug auf die Geldschöpfung der Banken

  • Leicht zugänglicher, präziser und umfassender Überblick

Dazu möchte ich kurz erläutern, warum ich überhaupt ein Lehrbuch geschrieben habe. Meiner Meinung nach kranken die bestehenden Lehrbücher daran, dass sie Geld nicht in den Fokus nehmen und zudem die Geldschöpfung falsch bzw. verzerrt darstellen. Ein Beispiel: Das zentrale IS/LM-Modell nimmt an, dass eine Erhöhung der Staatsausgaben den Zins erhöht. Der höhere Zins führt bei den Unternehmen dazu, dass sie einige Investitionen nicht durchführen, weil der Abstand zwischen Ertrag und Zins geringer geworden sich und sich das teilweise dann halt nicht mehr lohnt. Soweit die Theorie der „alten” Lehrbücher aus dem 20. Jahrhundert.

Die Theorie in meinem Lehrbuch hingegen setzt auf der empirischen Ebene an. Wenn der Staat seine Ausgaben erhöht, was passiert dann mit dem Zins? Diese Frage erfordert eine empirische Antwort, die wir nur gewinnen können, wenn wir uns die Realität anschauen und nicht mit theoretischen Annahmen arbeiten, die in der Realität nicht erfüllt sind. In der Realität erhöht die Bundesbank die Konten der Banken, deren KundInnen Geld von der Bundesregierung empfangen (während das Zentralkonto des Bundes belastet wird). Die Banken haben also mehr Guthaben bei der Zentralbank (Reserven) als vorher. Weil sie diese kurzfristig nicht benötigen, werden sie versuchen, diese überschüssigen Reserven am Markt zu verleihen. Das führt dazu, dass am Markt der Zins fällt, weil die Nachfrage für diese zusätzlichen Reserven nicht da ist. Da aber die Zentralbank den Zins am Interbankenmarkt stabilisieren soll, muss sie eingreifen. Sie verkauft Staatsanleihen an die Banken, um die überschüssigen Reserven aus dem Markt zu nehmen. (In der Realität ist es noch ein bisschen komplexer, im Lehrbuch ist es genau beschrieben.) So wird der Zins stabilisiert. Egal, wie viel Geld die Bundesregierung ausgibt: Der Zins am Interbankenmarkt bleibt stabil.

Diese empirische Beobachtung ist meiner Meinung nach aus wissenschaftlicher Sicht eine akzeptable Theorie, während hingegen die Annahme eines bei steigenden Staatsausgaben steigenden Zinses keine akzeptable Theorie ist – es wird eben nicht auf Grundlage von empirischer Realität erklärt, sondern eine Annahme wird eingesetzt. Mein Lehrbuch ist also der Versuch, Annahmen der Makroökonomik aus dem IS-LM-Modell und aus anderen Teilen durch empirisch basierte Theorien zu ersetzen. Dabei weiß ich u.a. auch die Deutsche Bundesbank auf meiner Seite, wenn es beispielsweise um die Geldschöpfung der Banken geht. Während die meisten Lehrbücher davon ausgehen, dass Banken Ersparnisse weiterverleihen und so Investitionen finanzieren, ist es in der Realität die Geldschöpfung der Banken, welche den Kern des Bankgeschäfts bildet. Die juristische Grundlage ist der Kreditvertrag. Der Kreditnehmer verpflichtet sich zur Rückzahlung, während die Bank sich verpflichtet, Zahlungen in Höhe der Kreditsumme für den Kunden durchzuführen. 

Ein Kredit ist also ein Austausch von Zahlungsversprechen in staatlicher Währung und unterscheidet sich fundamental von der Geldschöpfung der Bundesregierung. Während die schwäbische Hausfrau den Kredit zurückzahlen muss, verpflichtet sich die Bundesregierung keineswegs, ihre „Verschuldung” auf null zu reduzieren. Empirisch gesehen ist die Staatsverschuldung nichts anderes als die Differenz zwischen allen jemals getätigten Staatsausgaben und allen jemals getätigten Steuerzahlungen. Der Staat kann also keinerlei Zahlungen leisten, um seine „Staatsverschuldung” zu reduzieren. Wir als SteuerzahlerInnen sind es, deren Steuerzahlungen die Staatsverschuldung zurückführen!

In dem Lehrbuch erkläre ich Stück für Stück die Elemente der Geldschöpfung, die dann Kapitel für Kapitel zusammengesetzt werden, bis die Makroökonomie zum Vorschein kommt. Sie besteht aus vielen Teilen, hat als Ganzes aber dann Eigenschaften, welche die Teile nicht haben (z.B. Instabilität). Um sie zu beschreiben, erkläre ich die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR), die Zahlungsbilanz und die sektoralen Salden. Danach folgt ein graphisches Modell, welches auf den sektoralen Salden beruht. Damit wird die Veränderung der Verschuldung im privaten und öffentlichen Sektor sichtbar gemacht, denn Verschuldungskrisen sind im 21. Jahrhundert das anscheinend wichtigste Feld der Makroökonomik. In den folgenden Kapiteln geht es dann um Preisstabilität und Arbeitsbeziehungen.

Das gesamte Lehrbuch durchzieht die Frage, wie wir mit den Ressourcen umgehen, deren Begrenztheit auch die Grenzen unseres Wirtschaftens ausmachen. Geld lässt sich kostenlos und in gewünschter Menge erzeugen, wenn der politische Wille da ist. Wie müssen in einer solchen Welt der begrenzten Ressourcen und der theoretisch unbegrenzten Geldschöpfung die Institutionen aufgebaut sein, um Ziele wie wirtschaftliche Nachhaltigkeit, Vollbeschäftigung und Preisstabilität zu erreichen? Das ist meiner Meinung nach die große Frage der Makroökonomik des 21. Jahrhunderts. Deutschland muss als Teil der Eurozone die Frage nicht nur für sich selbst, sondern gleich für die gesamte Währungsunion beantworten, als deren größtes Mitglied es eine besondere Verantwortung trägt.

Ich erhoffe mir, dass mit dem Lehrbuch der Fokus von den Problemen des 20. Jahrhunderts – Lohn-Preis-Spiralen werden durch eine Zentralbank-induzierte Erhöhung der Arbeitslosigkeit auf Kosten der Arbeitnehmerschaft gelöst, permanente „natürliche“ Massenarbeitslosigkeit ist der Preis für Preisstabilität – auf die Probleme des 21. Jahrhunderts umschwenkt. Die Pandemiejahre waren wirtschaftspolitisch interessant, sie brachten „unbegrenzte KfW-Kredite“ zur Stützung der Unternehmen und „Sondervermögen“ von 100 Mrd. € für die Bundeswehr und 200 Mrd. € für den Gaspreisdeckel im Jahr 2022. Geld ist also, wenn der politische Wille da ist, vorhanden. Natürlich kann „der Staat” nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen, aber das kann auch „der Markt“ nicht. Vielleicht kann das Buch einen Beitrag dazu leisten, ideologische Verbrämungen (positive, abgeschwächte Darstellung von etwas Negativem) zu reduzieren und für die Praxis relevante Fragen anzugehen, wie eine Geldordnung aussehen sollte, damit wir unsere gesellschaftlichen Probleme lösen können. Dabei sind Staat und Markt als Paar zu begreifen, welche sich wie beim Tanz bewegen, und deren Bewegungen jeweils beim Partner reflektiert werden.

Ich hoffe, dass den LeserInnen das Lehrbuch gefällt und freue mich über Rückmeldungen, z.B. über das Kontaktformular hier auf meiner Homepage. In Kürze werde ich Erklärvideos zu meinem Modell auf Youtube veröffentlichen, und nächstes Jahr gibt es dann noch einen Onlinekurs zum Lehrbuch mit vielen Stunden Videomaterial. Viel Spaß und bis bald,

Dirk Ehnts