Klassenkampf in the UK: das Herbstgutachten

18.11.2022

Die britische Regierung hat Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen angesetzt und im Herbstgutachten die Details erläutert. Fiskalische Phantomschmerzen führen zum Abstieg der ganzen Gesellschaft. Clara Mattei hat dazu ein Buch geschrieben.

Das Herbstgutachten der britischen Regierung, welches gestern vorgestellt wurde, hat es in sich:

To ensure fiscal discipline while providing support for the most vulnerable, the Chancellor has introduced two new fiscal rules, that the UK's national debt must fall as a share of GDP by the fifth year of a rolling five-year period, and that public sector borrowing in the same year must be below 3% of GDP. Overall, the Autumn Statement improves public finances by £55 billion by 2027-28, and the OBR forecasts both of these rules to be met a year early in 2026-27.

Die ominöse "fiskalische Disziplin" soll als durch zwei neue Fiskalregeln hergestellt werden:

1. Die Staatsschuldenquote muss im 5. Jahr eines 5-Jahres-Durchschnitts fallen und

2. Das staatliche Defizit muss unter 3 Prozent des BIP liegen.

Damit ahmt Großbritannien die Fiskalregeln der Eurozone nach, welche bei uns nicht funktionieren und daher seit Frühjahr 2020 ausgesetzt sind (mindestens noch bis Ende 2023). Als Land mit eigener Währung gibt es keinen Grund für diese Regeln, denn der britischen Regierung können die Pfund nicht ausgehen. Die Bank of England, eine staatliche Institution, ist Monopolistin der Währung und muss natürlich die Regierung unterstützen. Im Jahr 2020 hatte ich aufgeschrieben, warum daher auch steigende Zinsen kein Problem wären. Dies gilt auch heute noch.

Der Guardian berichtet nun, dass selbst mit der ebenfalls von Hunt angekündigten erweiterten Unterstützung für Energierechnungen der Lebensstandard in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich um 7 % sinken wird, womit die letzten acht Jahre Wachstum wegfallen würden. Diese wirtschaftlichen Schäden fügt die Politik dem Land zu, es bestehen keine wirtschaftlichen Gründe. Die geringere Staatsausgaben werden die Arbeitslosigkeit signifikant erhöhen und damit den Druck der Gewerkschaften herausnehmen, die Löhne zu erhöhen. Dies soll angeblich bei der Bekämpfung der Inflation helfen, nur wurde diese durch steigende Energiepreise ausgelöst. Niedrigere Löhne bei steigenden Lebenshaltungskosten sind politischer Sprengstoff. Leider scheint die Opposition nicht in der Lage zu sein, eine ökonomisch fundierte Gegenposition aufzubauen. Statt zu betonen, dass der britischen Regierung das Geld nicht ausgehen kann soll darauf verwiesen werden, dass im internationalen Vergleich die Staatsverschuldung doch relativ moderat sei. Das war auch schon in den 2010er Jahren das Gegenargument und hat politisch nicht funktioniert mit der Folge, dass wohl etwa eine Drittel Million BritInnen aufgrund der Austeritätspolitik ihr Leben verloren. Der Aufstieg der UK Independence Party (UKIP) ging damit einher und später dann auch der Brexit.

Interessanterweise ist seit heute das Buch "How Economists Invented Austerity & Paved the Way to Fascism" von Clara Mattei erhältlich. Die Buchbeschreibung des Verlags enthält diese beiden Absätze, die ich ins Deutsche übersetzt habe:

In The Capital Order erforscht die politische Ökonomin Clara E. Mattei die intellektuellen Ursprünge der Austerität, um ihre ursprünglichen Motive aufzudecken: den Schutz des Kapitals - und in der Tat des Kapitalismus - in Zeiten des sozialen Umbruchs von unten.

Mattei spürt den Ursprüngen der modernen Austerität im Großbritannien und Italien der Zwischenkriegszeit nach und zeigt, wie die Bedrohung der Arbeiterklasse in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen von oben nach unten anregte, die die Eigentümer aufwerteten, die Arbeiter unterdrückten und eine starre wirtschaftliche Hierarchie in ihren Gesellschaften durchsetzten. Der "Erfolg" dieser Politik lag, relativ gesehen, in der Bereicherung bestimmter Parteien, einschließlich der Arbeitgeber und der Außenhandelsinteressen, die Macht und Kapital auf Kosten der Arbeitnehmer anhäuften. Hier, so Mattei, zeige sich der wahre Wert der Austeritätspolitik: Sie diene der Isolierung festgefahrener Privilegien und der Beseitigung aller Alternativen zum Kapitalismus.

Das Timing für dieses Buch, welches ich noch nicht gelesen habe, hätte nicht besser sein können.