Japanischer Premierminister fordert höhere Löhne gegen Stagflation

11.01.2023

In Japan sollen höhere Löhne dabei helfen, eine Stagflation – Inflation und Stagnation – zu verhindern. Die Löhne sollen stärker steigen als das Preisniveau, wenn es nach der Regierung geht.

Reuters berichtet: „Der japanische Premierminister Fumio Kishida forderte am Donnerstag die Unternehmer auf, die Löhne schneller zu erhöhen, und warnte davor, dass die Wirtschaft in eine Stagflation abzugleiten droht, wenn die Lohnerhöhungen hinter den Preissteigerungen zurückbleiben.“ Wer glaubt, dass sich die Unternehmen dagegen sperren würden, der irrt: „Masakazu Tokura, der Vorsitzende von Japans größter Wirtschaftslobby Keidanren, sagte, es sei die Aufgabe des Unternehmenssektors, Lohnerhöhungen zu erreichen, die sich an einem Grundgehalt orientieren, das nicht hinter der Inflation zurückbleibt.“

Warum haben die Unternehmen nichts gegen höhere Löhne? 

Für die Unternehmen sind Kosten gleichbedeutend mit einer Reduktion des Gewinns bei gegebenem Preis. Wenn also ein Unternehmen ein Produkt hat, welches es für 100¥ verkauft, dann werden sämtliche Kosten vom Preis abgezogen, um den Gewinn zu ermitteln. Zu den Kosten zählen auch die Lohnkosten, die als Lohnstückkosten (Lohnkosten pro Stück) den Gewinn reduzieren. Wenn die Unternehmen makroökonomisch gebildet sind, dann erkennen sie allerdings, dass Preise und Löhne sich nicht unabhängig voneinander verhalten.

In einem Land mit hohen Löhnen werden auch die Preise hoch sein, weil die Unternehmen die hohen Kosten entsprechend weitergeben. Täten sie es nicht, würden sie mit Verlust verkaufen. Das können sie nicht durchhalten, sofern es sich um private Unternehmen handelt. Also müssen sie die hohen Löhne in die Preiskalkulation einfließen lassen. Für das einzelne Unternehmen ist das ja auch gar nicht schlimm – die anderen Unternehmen haben ja die gleichen hohen Lohnkosten! Positiv hingegen ist die mit hohen Löhnen einhergehende hohe Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Die Unternehmen können, gerade weil sie hohe Löhne zahlen, viel absetzen. Je höher die Löhne, desto höher also auch der Umsatz und die Gewinne. Dies gilt allerdings nur auf der volkswirtschaftlichen Ebene. Auf der betriebswirtschaftlichen Ebene wäre es immer noch eine gute Idee, die Löhne im Vergleich mit anderen Unternehmen zu senken. So käme es bei hoher Nachfrage und niedrigen Kosten zu höheren Gewinnen.

Vom Gewinner zum Verlierer

Aus dieser Strategie wird allerdings eine Verlierer-Strategie, wenn alle Unternehmen dieser Strategie folgen. Wenn alle Unternehmen beispielsweise auf eine Krise mit Lohnzurückhaltung reagieren und die Löhne nicht mehr steigen, dann wird auch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nicht mehr steigen. Die Wirtschaft stagniert, Löhne und Preise wachsen nicht mehr, es kommt zur Stagflation

Genau das hat die japanische Politik erkannt. Sie versteht auch, dass die Unternehmen nichts gehen höhere Löhne hat – wenn alle Unternehmen mitziehen. Daher greift hier die Politik ein, um ein wirtschaftspolitisches Problem zu lösen. Die Unternehmen untereinander würden so handeln, dass sie sich gegenseitig durch geringere Löhne schaden. Der Staat greift dann ein und versucht, das Lohnwachstum der Unternehmen zu koordinieren.

Manche Beobachter sind übrigens der Meinung, dass die japanische Politik der MMT folgt. Dies ist allerdings nicht der Fall. Es gibt keiner BeraterInnen, die zu dieser Denkschule zählen würden. Einige Ideen, die auch in der MMT vorkommen, sind allerdings in Japan verstanden worden. So ist die japanische Wirtschaftspolitik quasi teils kompatibel mit MMT-Analysen und teils nicht, wie Randall Wray und Yeva Nersisyan in einem Papier von 2021 festgestellt hatten.

Auch wenn es vielleicht etwas früh erscheint, sich über Stagflation Gedanken zu machen, sollten wir in Deutschland von Japan lernen. Das Lohnwachstum ist, neben den Energiepreise, die für die jetzigen erhöhten Inflationsraten verantwortlich sind, einer der wesentlichen Bestimmungsgründe der Inflationsrate. Wenn wir also in den 2010er Jahren zu niedrige Inflation hatten, dann lag das am zu geringen Lohnwachstum. Diesen Punkt dürfen die Gewerkschaften gerne häufiger in die öffentliche Debatten einbringen. Ich bin mir sicher, dass auch die deutschen Unternehmen steigenden Löhnen gar nicht abgeneigt wären. Insbesondere in der jetzigen Situation mit einem niedrigen Euro wäre es locker möglich, die Löhne stärker zu erhöhen, ohne das gleich die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ sofort als Gegenargument kommt.