Ist unser Finanz- und Währungssystem so gut wie bankrott?

16.01.2024

In einem Artikel bei Financial Investigator in den Niederlanden vertritt Professor Arnoud Boot von der Universität Amsterdam die These, dass unser Finanz- und Währungssystem so gut wie bankrott wäre. Dies ist allerdings nicht der Fall, auch wenn das Finanzsystem in Teilen dysfunktional ist.

Das Interview erschien letzte Woche bei Financial Investigator, eine Übersetzung habe ich mithilfe von Google Translate vorgenommen. Im Folgenden werde ich einige der Hauptaussagen als Zitate vorstellen und dann diskutieren. Eventuell sind die Übersetzungen etwas unscharf, was an Google Translate liegt. Der erste Absatz von Boot beginnt so:

„Ich würde lieber konkreter über das Finanz- und Währungssystem sprechen. Und um es gleich auf den Punkt zu bringen: Dieses System ist de facto bankrott. Tatsächlich besteht es nur deshalb noch, weil es von Regierungen und – als Verlängerung dieser Regierungen – von Zentralbanken, also faktisch auch von Steuerzahlern, unterstützt wird. Die Ankerpunkte, die jedes System für seine langfristige Nachhaltigkeit braucht, sind verloren gegangen. […] Bankkredite und Ersparnisse können im Handumdrehen von einem Marktteilnehmer auf einen anderen übertragen werden. Damit können die Banken nicht umgehen. Sie verfügen über eine Bilanz mit hohen Schulden, die oft volatil ist (Ersparnisse) und daher keine Möglichkeit haben, Risiken selbst aufzufangen. Dank der Rolle der Zentralbanken als Kreditgeber der letzten Instanz und der Gewissheit, dass Banken bei größeren Problemen letztendlich gerettet werden, können sie bestehen.“

Dazu möchte ich anmerken, dass ein Bankrott nach Duden so definiert wird:

„Zahlungsunfähigkeit; Einstellung aller Zahlungen [eines Schuldners gegenüber seinen Gläubigern]“

Ein Finanz- und Währungssystem ist aber kein Schuldner, denn es hat keinen Gläubiger. Ein derartiges System ist ein Netzwerk aus wirtschaftlichen Einheiten, die über ein Netz aus Verträgen miteinander verknüpft sind. Wenn Boot sagt, „dieses System“ wäre „de facto bankrott“, dann ist dies nicht richtig. Das System ist nicht bankrott, Zahlungen werden von den Teilnehmern des Systems jederzeit geleistet und Zahlungsausfälle bei einigen Teilnehmern des Netzwerks sind normal. Aktuell gibt es nicht auffällig viele Zahlungsausfälle.

Die Idee, dass das System (=Finanz- und Währungssystem) nur noch bestehen würde, weil Regierungen und Zentralbanken es unterstützen, ist völlig korrekt. Dabei handelt es sich allerdings um Normalität und keinen Skandal, zu dem Boot diese Unterstützung machen würde. Ohne staatliche Währung, staatliche Ausgaben und eine Zentralbank, die den Banken Liquidität verschafft, wäre das System gar nicht handlungsfähig. Ich sehe also das, was Boot als Problem sieht, als Notwendigkeit für das Betreiben eines Systems.

Boot sagt weiter: „Bankkredite und Ersparnisse können im Handumdrehen von einem Marktteilnehmer auf einen anderen übertragen werden. Damit können die Banken nicht umgehen“. Hier frage ich mich, woran Boot es festmacht, dass Banken damit nicht umgehen könnten. Die Computerprozesse von Kauf/Verkauf laufen ja schon seit einem halben Jahrhundert in Echtzeit oder fast-Echtzeit ab. Das ist nichts Neues, womit Banken nicht umgehen könnten. Bilanziell gesehen handelt es sich um „asset swaps“, den Austausch von Forderungen. Solange dies im Auftrag den Kunden geschieht, ist die Bank dabei nicht im Risiko.

Wenn die Banken sich allerdings doch mal selbst verspekulieren sollten, dann würden sie gerettet, bemängelt Boot. Dies ist allerdings nur eine Halbwahrheit. Eine einzelne Bank, die „größere Probleme“ hat, wird durch die Regulierungsbehörden geschlossen. Eine Rettung gibt es nur für die Banken als System, wenn nämlich alle Banken das gleiche Problem oder mindestens sehr ähnliche Probleme haben. Zudem ist noch sehr offen, was eine „Bankenrettung“ eigentlich bedeutet. Die Regierung kann z.B. eine Bank verstaatlichen. Das Top-Management wird dann entlassen, die Bank restrukturiert, die Besitzer verlieren ihr Geld (bzw. einen Teil davon) und am Ende wird die Bank wieder in den Markt zurückverkauft, dauerhaft geschlossen und damit abgewickelt oder sie bleibt in staatlicher Hand.

Moon sagt weiter mit Bezug auf die Eurozone:

„Als die EZB begann, die Zinsen zu erhöhen, wurde sofort der TPI eingerichtet, um zu verhindern, dass die italienische Regierung in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Als die Banken mit dem negativen Leitzins in Schwierigkeiten gerieten, wurde das LTRO-Programm ins Leben gerufen, bei dem Banken von der EZB 1 % Zinsen auf ihre Kredite erhielten.“

Für mich waren das wichtige und richtige Entscheidungen. Ein System ist dynamisch, es wird sich über die Zeit verändern müssen, um weiter zu bestehen. 

Wieder Moon, in Bezug auf eine Frage des Magazins:

Ist ein solches Finanzsystem, das letztlich vom Steuerzahler garantiert wird, gerecht?

"Diese Frage lässt sich leicht beantworten, wenn man nur auf die Rettung einer Bank mit Steuermitteln verweist, die im Jahr zuvor gigantische Boni ausgeschüttet hat: Nein.“

Diese Aussage halte ich für empirisch falsch. Der Steuerzahler ist nicht der Geldschöpfer, sondern die Zentralbank ist der Geldschöpfer. Das Finanzsystem wird, und das hat Moon ja vorher richtigerweise selbst gesagt, von der Zentralbank als Dealer und Lender of Last Resort garantiert. Ohne sie würde es zusammenbrechen.

Dass das Finanzsystem nicht gerecht ist, sollte klar sein. Banken dürfen Zahlungsverpflichtungen in staatlicher Währung schöpfen, die wir als Bankguthaben bezeichnen und als Geld benutzen. Das ist ein gewaltiges Privileg. Das ist nur dann gerecht(fertigt), wenn die Ergebnisse stimmen und die Kredite entsprechend das Gemeinwohl erhöhen, weil sie:

  • Firmen erlauben, zusätzliche arbeitssparende Investitionen durchzuführen, so dass wir langfristig weniger arbeiten müssen.
  • Haushalten erlauben, Familien zu gründen und ein Haus auf Kredit zu kaufen, welches man sich sonst nur nach 25 Jahre Arbeitsleben leisten könnte, wenn die Kinder schon längst aus dem Haus sind.

Wenn allerdings das System dysfunktionale Ergebnisse erzielt und im Wesentlichen nur Geld von unten nach oben umverteilt, dann müssen wir uns fragen, wie wir dieses Finanzsystem umbauen können. Die Lösung von Boot ist allerdings eine andere:

„Was wir tatsächlich brauchen, ist einerseits eine verlässlichere, langfristiger orientierte Politik und andererseits eine qualitativ hochwertigere Finanzintegration. Für Letzteres müssen wir von der kurzfristigen Finanzierung und der übermäßigen Dominanz der Banken auf langfristige oder risikoreichere Finanzierungen, also Eigenkapital, oder auf mehr ausländische Direktinvestitionen umsteigen. Eine solche Finanzierung ist deutlich weniger volatil. Sie bieten viel mehr Stabilität als kurze, volatile Cashflows. Wenn es uns irgendwie gelingt, kann das System im Stillen reformiert werden.“

Hier scheint er für weniger Banken zu argumentieren, aber was wäre denn die Alternative? Es bleiben ja nur noch die Finanzmarktakteure übrig. Mehr Eigenkapital klingt zwar erstmal gut, aber das lässt sich nicht erzwingen, gerade wenn die Masse der Bevölkerung kein großes Vermögen hat. Ausländische Direktinvestitionen klingen auch gut, nur kann das Geld ebenso aus Bankkrediten stammen wie das von inländischen Direktinvestitionen.

Generell kann ich daher die Analyse nicht teilen. Unser Geld- und Finanzsystem ist und kann nicht bankrott sein, allerhöchstens Teile davon, und das ist aktuell zwar der Fall, aber nur in normalen Maßen. Potentiell könnte es ein großes Problem bei Immobilienkrediten geben in den USA und anderswo, weil durch Corona die Unternehmen weniger Flächen nachfragen für Büros und Verkaufsräume. Das allerdings wäre eine ganz normale Krise, die zum Kapitalismus dazu gehört. Nicht alle Investitionen rentieren sich. Wenn die privaten Investitionen zu viele Blasen generieren, dann sollte der Staat mehr Verantwortung unternehmen. Das allerdings scheint nicht in das Weltbild von Boot zu passen, der Professor für Unternehmensfinanzierung und Finanzmärkte ist.