Ist ein Budgetdefizit von rund zehn Milliarden Euro eine erschütternde Bilanz?

29.08.2024

In Österreich war Mitte Juli die Opposition „empört“ über Aussagen des Bundeskanzlers, die SPÖ sprach bei dem Budgetdefizit von rund zehn Milliarden Euro von einer "erschütternde Bilanz". Warum die ganze Aufregung?

Die Publikation heute berichtete im Juli 2024:

Die Opposition ist sich angesichts der schlechten wirtschaftlichen und budgetären Lage, in der sich Österreich befindet, einig. Bundeskanzler Karl Nehammer habe den Bezug zur Realität verloren, schrieben die NEOS und die FPÖ in Presseaussendungen am Donnerstag. Die SPÖ spricht bei dem Budgetdefizit von rund zehn Milliarden Euro von einer "erschütternde Bilanz".

Wenn der Staat zehn Milliarden Euro mehr ausgibt als er über Steuern wieder einnimmt, dann ist das für die Sozialdemokratische Partei Österreichs eine „erschütternde Bilanz“? Das erscheint auf den ersten Blick unverständlich. Geht es überhaupt gar kein bisschen darum, was mit den Staatsausgaben erreicht wurde? Ist es völlig ohne Belang, ob in der Zeit, in den das Defizit entstand, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und gutes Lohnwachstum herrschten? Wir haben ja in der Pandemie gesehen, dass höhere Staatsausgaben durchaus gut sein können für die gesamte Wirtschaft, welche durch diese stabilisiert wird. Warum also jetzt „Defizite“ verteufeln? Ist es nicht nur zwangsläufig, dass die SPÖ dann bei der nächsten Regierung die Staatsausgaben kürzen muss, weil man ja die fiskalischen Defizite jetzt problematisch findet? Führt das nicht automatisch, quasi „alternativlos“, in die nächste Welle einer Kürzungs- bzw. Austeritätspolitik, die bereits in den 2010er Jahren die Gesellschaften in der Eurozone in die soziale Krise gestürzt hat?

Genau dies passiert ja gerade in London, wo die Labour-Regierung die Staatsausgaben kürzt, weil angeblich die öffentlichen Finanzen außer Kontrolle und die Kreditkarte des Staates ausgereizt wären. Das ist zwar alles überhaupt nicht wahr, denn der Staat ist eben keine schwäbische Hausfrau und anders als diese bezahlt er alle Ausgaben mit Geldschöpfung seiner Zentralbank, die das im Auftrag der Regierung meist nur dann darf, wenn die Einnahmen und die Ausgaben des Staates am Ende des Geschäftstages ausgeglichen sind. Im Ergebnis führt Labour in London die Politik der Tories fort, die Labour vorher selbst kritisiert hat.

Im Guardian hieß es in einem Leitartikel diese Woche wie folgt:

In einem Blog weist der Wirtschaftswissenschaftler Bill Mitchell darauf hin, dass die Strategie der Labour-Partei nichts nützen wird. Er weist darauf hin, dass die Briten in den letzten sechs Monaten höhere Einkommen hatten, was größtenteils auf die öffentlichen Ausgaben zurückzuführen ist. Auch die Defizitposition und die öffentlichen Ausgaben des Vereinigten Königreichs entsprechen denen vergleichbarer reicher Länder - und sind keineswegs, wie ein Kabinettsminister behauptete, "außer Kontrolle geraten". Prof. Mitchell schreibt, dass "die britische Wirtschaft bei den geplanten Haushaltskürzungen derzeit nur dann ein Wachstum aufrechterhalten kann, wenn der private Binnensektor ins Defizit stürzt und immer höhere Schulden anhäuft. Das ist ein Rezept für eine Katastrophe."

Die Labour-Partei bellt den Falschen an. Während der britische Staat nicht zahlungsunfähig werden kann, sind private Schulden das Problem. Die Finanzkrise von 2008/09 ist viel zu schnell vergessen worden, leider hängt die Zahlungsunfähigkeit von Griechenland noch in den Köpfen, die jedoch einen politischen Hintergrund hatte und keinen ökonomischen. Hätte die EZB damals unter Trichet schon Staatsanleihen angekauft wie nur zwei Jahre unter Mario „whatever it takes“ Draghi, dann wäre die ganze Eurokrise niemals ausgebrochen. Leider scheinen SPÖ und Labour aus der Finanzkrise die falschen Lehren gezogen haben. Nun bieten sie nurmehr „more of the same“ an, und das in einer Situation der Polykrisen.

Eine andere Wirtschaftspolitik wäre jederzeit möglich. Wie so etwas aussehen könnte, lässt sich am Samstag live und echt an der HWR Berlin verfolgen, wo die 4. Europäische MMT-Konferenz stattfindet. Alle Interessierten (also nicht nur AkademikerInnen und Studierende) sind dazu herzlich eingeladen. Die Registrierung ist offen und kostenlos hier möglich. (Einige Vorträge sind auf Englisch, andere werden auf Deutsch abgehalten werden.)