Inflationserwartungen passen sich an die Realität an
In den Modellen der Zentralbanken spielen die Inflationserwartungen eine große Rolle. Ein Blick in die Empirie zeigt jedoch ein ums andere Mal, dass sich die Erwartungen an die Realität anpassen und nicht umgekehrt.
Die neukeynesianischen Modelle, welche die Zentralbanken immer noch nutzen, weisen den Inflationserwartungen („expectations“) eine zentrale Rolle zu. Das geht so weit, dass Central Banking als Management der Inflationserwartungen definiert wird, so wie von Michael Woodford in seiner „Bibel“ für Neukeynesianer (siehe unten). Wenn also sich die Inflationsrate an die Erwartungen der Marktteilnehmer anpasst, dann haben diese sehr viel Macht und die Zentralbank hat sehr wenig Macht. Sie muss über geschickte Kommunikation die „Herde“ in die richtige Richtung treiben. Das ist sehr stressig, nehme ich an, und erfordert viel Feingefühl auf Seiten der Zentralbank. Wäre es doch schön, wenn die Inflationserwartungen sich an die Realität anpassen würden! Dann könnte die Zentralbank einfach machen was sie will und dann abwarten, bis die Marktteilnehmer geschnallt haben, was läuft.
Allerdings zeigen uns die Daten ein ums andere Mal, dass es tatsächlich so ist. Inflationserwartungen passen sich an die Realität an, nicht andersherum!
Die blaue Linie oben zeigt die echte Inflation, die gelbe die Inflationserwartung von 12 Monaten vorher. Wenn die blaue Linie der gelben Linie folgen würde, dann hätte die neukeynesianische Theorie recht. Die Inflation folgt den Inflationserwartungen. Das tut sie allerdings nicht: Mitte 2022 fängt sie an zu sinken, obwohl die gelbe Linie das gar nicht vorgibt. Ganz im Gegenteil sinkt dann die blaue Linie und die gelbe Linie folgt: die Inflationserwartungen passen sich an die Inflation an!
Damit entpuppt sich die herrschende Theorie des Inflationsziel gleich doppelt als Blindgänger. Erstens sinken die Investitionen nicht, wenn die Zinsen steigen (wie in den USA klar deutlich wird), und zweitens spielen die Inflationserwartungen dabei überhaupt gar keine aktive Rolle. Der Grund ist klar: die Theorie ignoriert die Rolle des Staates und der Fiskalpolitik und überhöht die Rolle des Marktes mit dem Zins. Dies hatte sicherlich auch ideologische Gründe, denn so wird auch völlig „vergessen“, dass höhere Zinsen expansive Fiskalpolitik sind. Die Besitzer der Staatsanleihen in den USA bekommen so aktuell mehr als eine Billion (!) US-Dollar in die Kassen gespült. Und das soll die Inflation senken?
NACHTRAG 5. Juni: Nach einem Hinweis auf X/Twitter von André Kühnlenz ist mir klargeworden, dass mit der gelben Linie etwas anderes gemeint war als im Text oben angegeben. Unten findet sich die Definition der EZB zu den Inflationserwartungen der letzten 12 Monate. Ich hatte die Studie von Rakau nicht zur Verfügung und mir war nicht klar, dass er die Daten von der EZB hatte. Es bleibt allerdings dabei, dass Inflationserwartungen empirisch gesehen meist keine Rolle spielen, wie auch dieses Papier von Jeremy Rudd zeigt, welches 2001 in einer Reihe der Federal Reserve Bank veröffentlicht wurde.