Hat Großbritannien Finanzprobleme?

26.10.2022

Die jüngsten Ereignisse an den Finanzmärkten in Großbritannien werden von einigen KommentatorInnen als "Finanzprobleme" der britischen Regierung gedeutet. Diese Sicht ist jedoch unbegründet. Vielmehr sind es Probleme bei privaten Rentensystemen, welche zusammen mit einer fehlverstandenen Rolle der Zentralbank zu den Problemen geführt haben.

Bei Spiegel Online heißt es in einem Text:

Die britische Finanzkrise zeigt, was alles schiefgehen kann auf dem Weg zu einer strafferen Geldpolitik. Es ist nicht nur der desolate Zustand der konservativen Partei, der das Land an den Rand des finanziellen Abgrunds geführt hat. Noch vor einem Jahr wäre der populistische wirtschaftspolitische Kurs von Noch-Premierministerin Liz Truss wohl ohne größere Blessuren durchgegangen. Inzwischen aber haben sich die makroökonomischen Bedingungen so weit verschoben, dass eine Regierung, die gleichzeitig große Ausgabenprogramme und Steuersenkungen verkündet und damit die Staatsschulden weiter erhöht, von den Märkten abgestraft wird.

Nach dieser Interpretation steht also das Land am "Rand des finanziellen Abgrunds" und wurde "von den Märkten abgestraft". Allerdings ist diese Interpretation meiner Meinung nach falsch. Die Bank of England ist die einzige Institution, die britische Pfund erzeugen kann. Als Geldschöpferin kann ihr das Geld nicht ausgehen. Sie erzeugt Geld, indem sie die Konten der britischen Banken erhöht, die bei ihr ein Konto haben. Entweder passiert das, weil die Banken sich bei ihr Geld leihen (was sie übrigens nicht an Haushalte und Unternehmen weiterverleihen können, da diese kein Konto bei der Bank of England haben), oder aber sie tätigt im Auftrag der Regierung Zahlungen. Eine Grenze gibt es bei den Staatsausgaben nicht. 

Die aktuellen Regeln zwingen britische Regierung dazu, jedes Pfund, was sie zusätzlich in Umlauf bringen, mit der Emission einer Staatsanleihe im gleichen Wert wieder aus dem Markt zu nehmen. Dies passiert jedoch lediglich, damit die Menge an Zentralbankgeld sich nicht ändert, wenn der Staat mehr Geld ausgibt. So bleibt der Zins stabil, unabhängig von der Höhe der Staatsausgaben und der Steuerzahlungen (welche Geld vernichten). Dabei ist dann für die Frage der Liquidität bedeutungslos, ob die Zinsen hoch oder niedrig sind - die britische Regierung kann immer sämtliche Zahlungen durch Geldschöpfung der Bank of England bezahlen. Dazu gehören auch die Zinszahlungen.

Die Bank of England kann dies schlecht verweigern. Sie ist, wie die britische Regierung, eine staatliche Institution und mit staatlichen Aufgaben betreut. Sollte die britische Regierung es wünschen, kann auf die Ausgabe von Staatsanleihen (gilts) sogar völlig verzichtet werden. Dies wurde im April 2020 auf der Höhe der Pandemie beschlossen, auch wenn die britische Regierung davon nie Gebrauch machte. Die Bank of England kann auch die Preise der Staatsanleihen bestimmen und diese stabilisieren. Genau dies hat sie auch gemacht. Der Grund für die fallenden Preise der Staatsanleihen war, dass private Pensionsfonds diese als Sicherheiten nutzten, um Geld für riskante Geschäfte zu leihen. Das Wirtschaftsprogramm von Liz Truss mit den Steuersenkungen für die Reichen und Kürzungen für die Armen erzeugte den Eindruck, dass Unternehmen in Großbritannien nicht mehr viel Geld verdienen könnten. Wenn die Wirtschaft aber nicht läuft, dann wird wohl die Zentralbank die Zinsen senken. Und das wiederum gefällt den AnlegerInnen nicht, gerade wenn anderswo die Zinsen steigen.

Folglich wurden die Portfolios umgeschichtet, britischen Finanzanlagen wurden verkauft. Dazu gehörten auch Staatsanleihen. Ihr Preis sank und die britischen Pensionsfonds gerieten unter Druck. Ihre Sicherheiten hatten sich ein Stück weit entwertet und die Kreditgeber verlangten mehr Sicherheiten. Die Pensionsfonds gerieten unter Druck, ihre riskanten Finanzanlagen zu verkaufen, die eher im Preis gefallen waren. Ein massenhafter Verkauf hätte die Preise massiv nach unten getrieben. Also entschloss sich die Bank of England, in den Markt einzugreifen, um die privaten Pensionsfonds zu retten.

Die Lektion in Großbritannien ist also die, dass private Pensionsfonds durch ihre Spekulation die Bank of England dazu gebracht haben, in den Markt einzugreifen. Es zeigt sich ein weiteres Mal, dass ein privates Rentensystem nicht funktionsfähig ist bzw. nur deswegen nicht zusammenbricht, weil der Staat eingreift. Wir sollten also weiter auf Umlagesysteme setzen und keine Aktienrente oder ähnliches einführen. Von den Provisionen werden, im Gegensatz zum sicheren Umlageverfahren, einige wenige reich, während man der Masse Geld wegnimmt.