Hat China zu hohe öffentliche Investitionen?
Der Ökonom Michael Pettis sieht in China ein Problem mit zu hohen öffentlichen Investitionen. Die Argumente halten allerdings einer genaueren Überprüfung nicht stand. Deutschland sollte sich an die eigene Nase fassen und die öffentlichen Investitionen deutlich erhöhen, statt weiter aus Angst vor „Staatsverschuldung” die Zukunftschancen zu verspielen.
Die Tagesschau berichtet über China im Kontext “Überdimensionierte Infrastruktur: Braucht China eine Schrumpfkur?” über das Land:
"Das Paradebeispiel für diese Entwicklung ist die relativ arme Region Guizhou in Süd-China. Die Menschen dort haben wenig Einkommen", so Pettis. "Trotzdem wurden sehr viele Brücken und Straßen in die bergige Landschaft gebaut." Das Problem wachsender Gesellschaften sei oft, dass sie zu schnell zu viel bauen. "Dann haben sie zwar eine fantastische Infrastruktur, können aber die Kosten nicht mehr erwirtschaften, um sie zu erhalten."
Der Ökonom Michael Pettis stellt hier die Behauptung auf, dass die Infrastruktur Chinas nicht erhalten werden kann, weil die Kosten nicht erwirtschaftet werden würden - die Menschen sind schlicht zu arm. Stimmt das?
Die Neoklassik als trübe Linse
Für Anhänger der neoklassischen Theorie, zu denen Pettis gehört, ist die Sache klar. Kosten müssen erwirtschaftet werden, sonst geht die Sache den Bach herunter. Wie allerdings ist denn der Satz überhaupt gemeint? Wie John Maynard Keynes einmal bemerkte, können wir alles, was wir bauen können, auch finanzieren. Wir dürfen hier also nicht den Fehler machen und “reale Kosten” (Einsatz von Arbeitskräften und Ressourcen zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur) und „monetäre Kosten” (Einsatz von Geld) in einen Topf zu schmeißen. Solange es in China genügend Arbeiter und Ressourcen gibt, um die „fantastische Infrastruktur” (Pettis) zu erhalten, kann diese erhalten werden. Dafür muss der Staat nur das Geld schöpfen, um die entsprechenden Ausgaben zu tätigen. Selbst wenn die NutzerInnen der Infrastruktur keinen einzigen Renminbi an Einnahmen erzeugen, wenn sie die staatliche Infrastruktur nutzen, ist dies kein Problem.
Wir sehen das deutlich am Beispiel deutscher Grundschulen. Unsere Kinder gehen zur staatlichen Grundschule, was nichts kostet. Trotzdem kann der Staat aber die Grundschulen als öffentliche Infrastruktur erhalten, völlig ohne unseren Beitrag – es wird in Grundschulen nichts „erwirtschaftet”. Es soll aber auch gar nichts erwirtschaftet werden – das Recht auf Bildung wird durch den Staat so umgesetzt, dass er diese im Bereich der Schulen kostenlos zur Verfügung stellt. Aber Achtung: Das bedeutet nicht, dass uns der Betrieb der Grundschulen „nichts kostet”. Worin also bestehen diese Kosten?
Besser sehen mit sauberer Trennung von Geld und Ressourcen
Wenn der Staat öffentliche Angestellte einstellt, z.B. eine Hausmeisterin und Lehrerinnen und Lehrer sowie einen Sekretär, dann stehen diese dem Rest der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung. Dieser Verlust an anderweitigem Produktionspotential wird in der Ökonomik als „Opportunitätskosten” bezeichnet. Der „Preis”, den „wir” für unsere Grundschulen bezahlen, ist also der, dass uns die eingesetzten Ressourcen und Arbeitskräfte nicht mehr in alternativen Verwendungen zur Verfügung stehen. Die „Kosten” der Grundschulen sind also keine monetären Kosten, sondern „reale” Kosten.
Der Artikel zu China ist daher nicht hilfreich, wenn es um die Frage geht, wie die öffentlichen Investitionen in Deutschland aussehen. Die Statistiken der KfW (siehe oben) zeigen deutlich, dass diese aktuell nicht ansteigen - sie liegen unter dem Niveau von 2019. Wir sollten uns bei der Frage, welche öffentliche Infrastruktur wir brauchen, daher nicht an der Frage orientieren, ob die NutzerInnen die „Kosten“ erwirtschaften können, sondern ob sich gesamtgesellschaftlich die Investitionen lohnen. „Leisten” können wir uns diese allemal, sofern die Ressourcen und Arbeitskräfte da sind. Die Frage ist lediglich, ob die Verwendung besser ist als die im privaten Sektor oder für andere öffentliche Investitionen oder ob es besser wäre, die Arbeitszeit für alle zu kürzen. Am Geld jedoch sollte das Projekt nicht scheitern. Die Sondervermögen aus dem letzten Jahren haben deutlich gezeigt, dass politischer Wille ausreicht, um Hunderte von Milliarden Euro zu schöpfen, die dann Ressourcen und Arbeitskräfte mobilisieren.