Erschweren hohe Zinsen den Kampf gegen den Klimawandel?

10.07.2023

Im Mai 2023 argumentierten Servaas Storm und Thomas Ferguson, dass hohe Zinsen den Kampf gegen den Klimawandel erschweren würden. Ihre Argumente halten einer genaueren Analyse allerdings nicht stand. Der politische Wille ist entscheidend, nicht die Zinsen.

Im Guardian schrieben die beiden Autoren, dass höhere Zinssätze den Übergang zu erneuerbaren Energien erheblich verlangsamen würden. Dies würde auf zweierlei Weise geschehen:

„Erstens sind neu eingesetzte Technologien für erneuerbare Energien, die relativ hohe Vorlaufkosten haben, nur dann wettbewerbsfähig (im Vergleich zu den bereits installierten Technologien für fossile Brennstoffe), wenn die Zinssätze niedrig sind. Technische Studien zeigen, dass die Stromgestehungskosten (LCOE) der Photovoltaik (PV) und der Onshore-Windkraft um 11 % bzw. 25 % steigen, wenn die Zinssätze bei 4 bis 4,5 % (und nicht bei Null) liegen. Investitionen in neue Kapazitäten für erneuerbare Energien sind daher nur dann rentabel, wenn die Marktpreise es erlauben, die vollen LCOE zu erzielen.

Schätzungen der Internationalen Energieagentur zufolge würden sich die Stromgestehungskosten eines Gaskraftwerks um etwa 4 % erhöhen, wenn die Zinssätze von 3 % auf 7 % steigen würden, während die Kosten für Offshore-Windkraftanlagen und Solaranlagen (im Versorgungsbereich) um mehr als 30 % steigen könnten. Zweitens schützen hohe Zinssätze die alten Öl- und Gasproduzenten vor dem Wettbewerb mit aufstrebenden kohlenstoffarmen Energieerzeugern. Sie ermöglichen es den Öl- und Gasriesen, weiterhin die Einnahmen aus ihren verfallenden, sonnenverbrannten Anlagen zu maximieren; insbesondere Öl kann noch lange Zeit immer mehr für immer weniger verlangen.”

Die Autoren blenden hier allerdings eine wesentliche Annahme einfach aus. Warum müssen neue eingesetzte Technologien für erneuerbare Energien privat finanziert sein? Warum macht es nicht einfach der Staat? In vielen Ländern ist die Energieerzeugung in staatlicher Hand, denn als Währungsschöpfer kann diesem das eigene Geld nicht ausgehen. Der Staat kann den Strompreis unabhängig von den monetären Kosten ansetzen. Diese sind allerdings beim Staat im Vergleich zu privaten Investitionen geringer, denn es fallen keine Zinskosten an und es gibt auch keine Dividende bzw. keinen Gewinn.

Die Investitionen, die für eine grün-soziale Transformation nötig sind, betragen Hunderte von Milliarden Euro pro Jahr alleine in der EU. Es ist absolut illusorisch, dass private Geldgeber derart viel Geld geben für Investitionen, die mit allerhöchster Unsicherheit behaftet sind. Niemand kennt zukünftige Energiepreise und zukünftige Kosten von grüner Energieerzeugung, geschweige denn, welche Energiearten (Strom, Wasserstoff, ???) überhaupt nachgefragt werden. Von daher ist es zu viel erwartet, dass der private Sektor über Kredite oder Anleihen hier einen Großteil der Investitionen finanziert. Insofern ist die Behauptung, höhere Zinsen würden die grünen Investitionen stoppen, nicht gerechtfertigt. Sie stoppt wenn überhaupt nur den Teil der Investitionen, der privat finanziert wird. Allerdings sind langfristige Investitionen meist langfristig finanziert und von daher spielt der aktuelle Zins nicht die große Rolle – es kommt auf den durchschnittlichen Zins in den nächsten Jahrzehnten an, bis sich sich die Investition amortisiert.

Das wesentliche Problem ist und bleibt beim Kampf gegen die Klimawandel die Unsicherheit, die private Investitionen verhindert. Dass jetzt auch noch der Zins schwankt, verschlimmert die Lage zusätzlich. Allerdings war auch schon vorher klar, dass wir ohne massive staatliche Investitionen keine zusätzlichen privaten Investitionen bekommen würden. Der Inflation Reduction Act hat mit dem crowding-in privater Investitionen klar gezeigt, wie gute Wirtschaftspolitik aussieht.