Die NY Times über ökonomischen Stillstand in Deutschland
Die NY Times titelt heute: "Deutschland, das einstige Kraftzentrum, befindet sich im wirtschaftlichen 'Stillstand'“. Am Ende kommt jemand zu Wort, der den Deutschen rät, die „fiskalischen Zwangsjacken“ abzulegen. Kein schlechter Rat.
Den Artikel für die NY Times (open access hier) hat Melissa Eddy aus Berlin beigesteuert, mit einem Bild eines Berliner Dönerladens untermauert (der im Video oben getestet wird). Der Artikel fasst die Ereignisse des letzten Jahres gut zusammen, inklusive der Haushaltskrise. Allerdings wird das Haushaltsloch zu klein eingeschätzt und auch die folgende politische Einschätzung ist nicht ganz richtig:
„Die Beschränkungen bei der Kreditaufnahme hindern die Regierung daran, dringend benötigte Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zu tätigen, von Schulen und öffentlicher Verwaltung bis hin zu Eisenbahnen und Energienetzen.“
Es sind die „Beschränkungen bei der Kreditaufnahme“, welche die Regierung daran hindern würden, „dringend benötigte Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zu tätigen“. Die deutsche Bundesregierung nimmt gar keine Kredite auf. Ihre Ausgaben tätigt sie über die deutsche Bundesbank, die Geld schöpft bei Ausgaben und Geld vernichtet bei Steuereinnahmen und Staatsanleihenverkäufen, so dass sie den Staat nicht „finanziert“ (was ja verboten wäre). Es gibt also keine „ökonomische Begründung“ für den ökonomischen Stillstand. Die Begründung ist eine politische. Die Bundesregierung möchte die Schuldenbremse einhalten, deren Aussetzung sie jederzeit beschließen könnte. Daher bindet sie sich einen, vielleicht sogar beide Arme auf den Rücken. Die staatlichen Kürzungen im Haushalt haben entsprechend Deutschland schon 2023 in die Rezession gestürzt, und auch 2024 sieht es düster aus. Der Grund ist die Idee der Bundesregierung, an der Schuldenbremse festzuhalten und sie nicht auszusetzen.
Weiter heißt es in dem Artikel:
„Nicht alles ist negativ, sagen die Ökonomen. Die zweistellige Inflationsrate ging im Dezember auf 3,8 Prozent zurück, und es wird erwartet, dass die hohen Zinssätze im Laufe des Jahres zu sinken beginnen. In Verbindung mit einer Erhöhung der Löhne, die nach Arbeitskampfmaßnahmen wie dem Lokführerstreik erzielt wurden, könnte dies die deutschen Verbraucher dazu ermutigen, mehr auszugeben, auch wenn dies das Risiko birgt, die Inflation weiter anzuheizen.“
Es ist sicherlich richtig, dass nicht alles negativ ist, aber ohne höhere Ausgaben kann eine Wirtschaft nicht wachsen. Unternehmen verkaufen nunmal ihre Güter und Dienstleistungen gegen Geld, und wenn die Konsumenten nicht mehr davon ausgeben, stagniert die Wirtschaft oder schrumpft sogar. Dabei halte ich das Risiko, dass höhere Löhne aktuell zu mehr Inflation führen, für sehr gering. Bei steigender Nachfrage können die Unternehmen mehr produzieren, und das senkt normalerweise die Durchschnittskosten, zumindest wenn die Auslastung eher unterdurchschnittlich ist – so wie jetzt.
Ergänzen würde ich noch, dass die Bundesregierung darauf wettet, dass Exporte die deutsche Wirtschaft aus dem Sumpf ziehen. Mit einem realen Wachstum von jeweils 5 Prozent in den USA und China stehen die Chancen gar nicht so schlecht, aber eine weitere Verschlechterung der Binnennachfrage durch sinkende Staatsausgaben läuft in die andere Richtung. Der Nettoeffekt wird wahrscheinlich positiv sein, aber er wird wohl nicht besonders hoch sein. Aktuell ist Deutschland der kranke Mann der Weltwirtschaft. Was wir uns nicht leisten können in Deutschland ist ein wirtschaftspolitisches weiter so. Entweder die Bundesregierung tauscht ihre wirtschaftspolitischen Berater aus, oder die Wähler tauschen bei den Wahlen 2025 die Regierungsparteien aus. So oder so wird es mit dem jetzigen Kurs wohl nicht weitergehen.
Der NYT-Artikel endet mit diesem Absatz, dem ich fast nichts hinzuzufügen habe (weil ich einen Teilsatz „den Sprung zur Deregulierung machen und“ herausgestrichen habe):
„Die Deutschen müssen darüber nachdenken, welche Art von Wirtschaft sie wollen", sagte Tordoir. "Aber wenn sie erst einmal [...] die fiskalischen Zwangsjacken loslassen, gibt es in der deutschen Wirtschaft ein großes Potenzial. Es wird nur noch nicht genutzt.“