Die neue Rentendebatte: Müssen wir alle länger arbeiten?

13.12.2022

Im Handelsblatt wird in einem Artikel behauptet, dass wir alle länger arbeiten müssten. Die deutsche Debatte erinnert an die Debatte in den USA Anfang der 2000er Jahre um die (Teil-)Privatisierung der Rente. Auch damals zogen die Argumente nicht.

Im Artikel vom Handelsblatt heißt es:

2040 werden weniger als zwei einen Rentner finanzieren müssen. Wenn der Staat das so laufen lässt, steigen entweder die Beitragssätze ins Unermessliche oder der Staat muss die Lücke finanzieren. Beides will Olaf Scholz offenbar nicht. Der Kanzler möchte die demografische Falle überwinden, indem er den vorzeitigen Rentenbezug ohne Abschläge verhindert.  

Diese Art der Präsentation des „Rentenproblems” bzw. der „demografische[n] Falle“ halte ich für falsch. Es geht hier nicht um „Finanzierung“, sondern darum, aus dem „Kuchen“ Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein großes Stück für die RentnerInnen zu reservieren. Dies ist ein rein realwirtschaftliches Problem, bei dem das Geld nur die Kaufkraft - also die Größe des Kuchenstücks - bestimmt. Ein Gedankenexperiment hilft weiter. Wir produzieren in Deutschland ein BIP von fast 1.000 Milliarden Euro pro Quartal. Das ist die Menge von Gütern und Dienstleistungen, die uns theoretisch für den Konsum zur Verfügung stehen. Maximal können wir das, was wir produzieren, auch konsumieren. Natürlich wird ein Teil der Produktion exportiert oder vom Staat verbraucht, aber der Konsum hängt trotzdem eng am BIP. Es gibt kein Land auf der Welt, wo die RentnerInnen paradiesisch leben, gleichzeitig aber das BIP gering ist. Die Produktion von Konsumgütern ist, frei nach Adam Smith, der Wohlstand einer Nation, welcher verteilt werden will.

Damit sind wir bei der Frage der Rente. Es gibt immer einen Teil der Bevölkerung, welcher aktiv zur Produktion beiträgt. Die ArbeitnehmerInnen bekommen dafür einen Lohn. Sie zahlen davon Beiträge für die Rentenversicherung. Das bedeutet, dass sie einen Teil der Produktion nicht nachfragen können, weil sie dafür nicht genügend Kaufkraft haben. Dieses Kuchenstück, welches durch den Entzug von Kaufkraft durch Sozialversicherungsbeiträge entsteht, können dann die RentnerInnen konsumieren. Dafür brauchen sie Geld - Rente. Die bekommen sie vom Staat ausgezahlt, welcher als Geldschöpfer agiert. Er kann Euros in gewünschter Menge auszahlen, auch völlig ohne „Leistung“ (wie z.B. auch beim Kindergeld). In den Worten von Alan Greenspan (Video oben):

There is nothing to prevent the federal government from creating as much money as it wants and paying it to somebody.

Eine „Finanzierung“ des Staates gibt es also nicht (auch nicht in Deutschland) und es würde daher auch nichts bringen, eine private Rentensäule aufzubauen, denn dies löst kein Problem. Die deutsche Bundesregierung kann so viel Geld ausgeben, wie sie will. Es muss nur im Haushalt stehen oder ggf. im Sondervermögen. Dieses Jahr hat deutlich gezeigt, dass „Knappheit des Geldes“ eben kein technisches Problem ist. Eventuell stehen Selbstbeschränkungen wie Schuldenbremse oder Defizitgrenzen den Ergebnissen höherer Staatsausgaben entgegen, aber diese Regeln lassen sich politisch umgehen. Das Problem ist immer „real“, nämlich güterwirtschaftlich. Damit die RentnerInnen gut leben können, müssen sie ein Stück vom Kuchen BIP bekommen. Bei einem wachsenden BIP können sowohl die ArbeitnehmerInnen wie auch die RentnerInnen ein immer größeres Kuchenstück bekommen. Problematisch wird es, wenn der Kuchen nicht mehr oder nicht mehr so stark wächst.

Eine Lösung wäre es tatsächlich, die Größe des Kuchens zu steigern, indem wir länger arbeiten. Allerdings liegt eine andere Lösung auf der Hand. Aktuell gibt es in Deutschland 2,5 Millionen Arbeitssuchende. Diese tragen nicht zum Kuchen bei, da sie nichts produzieren. Es gibt nicht genügend freie Stellen und diese BürgerInnen sind größtenteils unfreiwillig arbeitslos. Wenn der Staat über höhere Ausgaben noch mehr Menschen in Beschäftigung bringt, dann würde auch der Kuchen größer werden. Dies würde wesentlich dazu beitragen, den Kuchen zu vergrößern. Zudem könnte der Staat stärker versuchen, die Produktivität der Wirtschaft zu erhöhen, indem er die Unternehmen zwingt, mehr Maschinen einzusetzen. Dies wird dann für Unternehmen attraktiver, wenn die Löhne schneller steigen. Mit dem Mindestlohn hat der Staat ein Instrument, um gezielt einzugreifen.

Die neue Rentendebatte wäre ein guter Anlass, mit alten Fehleinschätzungen abzuschließen und sich neuen Lösungen zuzuwenden, die sicherlich auch in der Bevölkerung besser ankommen als eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit.