Die Grenzen öffentlicher Investitionen

21.11.2022

Um die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft voranzutreiben, brauchen wir öffentliche Investitionen. Die Infrastruktur muss ausgebaut werden, um Lösungen zu ersetzen und zu ergänzen, welche auf individuellen Ansätzen beruhen. Die Grenze sind die Ressourcen, nicht das Geld.

Die Bewegung End Fossil: Occupy hat vor, in Deutschland Hörsäle zu besetzen, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Zwei dieser Forderungen sind:

  1. Keine Profite mit Energieproduktion! Wie unsere Energieversorgung sichergestellt wird, muss demokratisch und nicht profitorientiert geregelt werden. Deswegen fordern wir sofort eine Übergewinnsteuer für alle Energieträger. Langfristig muss die Energieproduktion vergesellschaftet werden.
  2. Verkehrswende für alle! Der Verkehrssektor macht 18,2% der jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen aus. Um dies zu ändern, brauchen wir einen regelmäßigen für alle erreichbaren ÖPNV. Auch ein massiver Ausbau des überregionalen Schienennetzes ist längst überfällig. Damit der ÖPNV auch von allen genutzt werden kann, braucht es ein 9€-Ticket. Langfristig sollte ein ticketloser, kostenloser ÖPNV angestrebt werden.

Können wir das bezahlen?

Der wichtigste Punkt theoretischer Art hinter diesen Forderungen betrifft das Geld. Kann die Bundesregierung das bezahlen? Kann sie die Energieproduktion vergesellschaften? Kann sie einen massiven Ausbau von ÖPNV und DB realisieren? Wäre es auch möglich, den ÖPNV kostenlos zu gestalten? Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich zwei Fragen stellen: 

  1. Kann die Bundesregierung so viel Geld ausgeben wie sie will?
  2. Kann die Bundesregierung so viele Ressourcen kaufen, wie sie will?

Die Antwort auf die erste Frage lautet ja, die Antwort auf die zweite Frage lautet nein. Es folgen ausführliche Begründungen.

Die Frage nach der Finanzierbarkeit ist bei der Bundesregierung (und nur bei dieser) relativ leicht zu beantworten. Alle Zahlungen werden von der Deutschen Bundesbank durchgeführt. Diese erhöht dabei das Konto der empfangenden Bank bei der Bundesbank. Das ist etwa so wie eine Tabellenkalkulation, in der Werte hoch- und runtergesetzt werden können. Wo die Zahlen herkommen ist banal - natürlich aus der Software. Das ganze ist also wie ein Spielstand bei einem Computerspiel, und die Zentralbank ist die Institution, die den Spielstand verwaltet. Sie kann also die Konten der Banken verändern. Zahlt als die Bundesregierung 100 Euro an Person X, so erhöht die Bundesbank das Konto der Bank von Person X bei der Bundesbank um 100 Euro. Die Bank sieht das und bekommt die Nachricht, dass Person X Geld bekommen soll. Also erhöht sie in ihrer eigenen Buchhaltungssoftware den Kontostand ebenfalls um 100 Euro. Wenn Person X dann Online-Banking macht, sieht sie den nun höheren Kontostand. 

Gleichzeitig belastet die Bundesbank das Konto der Bundesregierung (Zentralkonto des Bundes), welches vom Bundesministeriums der Finanzen (BMF) geführt wird. Dieses wird dann durch die Auszahlungen negativ. Aufgrund der politischen Regeln der Eurozone muss das Konto am Ende des Geschäftstages ausgeglichen werden. Ist es das nicht, darf die Bundesbank keine Zahlungen mehr im Auftrag des BMF mehr durchführen, denn dies wäre Staatsfinanzierung und die ist verboten. Wie kann also die Bundesregierung ihr Konto wieder erhöhen? Sie kann Steuerzahlungen darauf buchen und auch Erlöse aus dem Verkauf von Staatsanleihen. Die Steuerzahlungen sind nicht in der Hand der Bundesregierung - es treffen halt so viele Steuerzahlungen ein, wie gezahlt werden. Bei den Staatsanleihen - Schuldscheine der Bundesregierung - liegt die Sache aber anders.

Die Zahlungsfähigkeit der Bundesregierung hängt von der Rolle der EZB ab

Die Bundesregierung kann unter Umständen immer neue Staatsanleihen verkaufen und so ihr Konto dann auch immer wieder aus dem negativen Bereich bringen. Wenn das so sein sollte, kann der Bundesregierung das Geld nicht ausgehen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn die Europäische Zentralbank sehr viele Staatsanleihen kauft. Sie darf dabei nur "gebrauchte" Staatsanleihen kaufen, denn diese werden von der Bundesregierung (bzw. der Bundesfinanzagentur) nur an ausgewählte Banken verkauft. Deren Nachfrage hängt unter anderem davon ab, ob sie die Staatsanleihen an die EZB weiterverkaufen können. Ist das der Fall, machen Banken damit Gewinne. Sie würden also immer Staatsanleihen von der Bundesregierung kaufen, weil sie mit dem Weiterverkauf an die EZB (oder andere Institutionen) Gewinne machen können. Dann wäre die deutsche Bundesregierung immer zahlungsfähig,

Eine interessante Frage, die sich daran anschließt, ist die nach Schuldenbremse und europäischen Fiskalregeln. Diese werden rückblickend angewandt und können dazu führen, dass die Bundesregierung aufgrund dieser Regeln gezwungen ist, weniger Geld auszugeben. Dass hat aber dann rein politische Gründe, denn diese Regeln könnten auch ausgesetzt oder entfernt werden. Wir halten also fest, dass der Bundesregierung das Geld nicht ausgehen kann. Dies haben wir auch bei den Sondervermögen deutlich gesehen. Der Staat ist finanziell handlungsfähig, wenn der politische Wille vorhanden ist. Dabei gilt, dass alle Ausgaben in den Haushalt aufgenommen werden müssen. Nur was dort drinsteht, kann auch ausgegeben werden (da sonst die Bundesbank sich weigern würde, die Zahlungen durchzuführen).

Begrenzte Ressourcen, unbegrenztes Geld?

Wie ist es mit den Ressourcen, welche die Bundesregierung kaufen kann? Diese sind begrenzt. Einmal sind Ressourcen wie z.B. Rohstoffe, Arbeitskraft und Energie nicht unbegrenzt verfügbar. Andererseits wollen wir keinen Raubbau an den Ressourcen begehen, sondern diese nachhaltig bewirtschaften oder auch gar nicht bewirtschaften. Spätestens in ein paar Jahren beispielsweise muss Kohle im Boden belassen werden. Eine Bundesregierung kann aber Energieproduktion und Transportinfrastruktur und Betreiber kaufen, wenn die BesitzerInnen sie verkaufen würden. (Alternativ kann auch enteignet werden, sofern das Gesetz das zulässt.) 

Bei der Frage der öffentlichen Investitionen kommt es wieder auf die Ressourcen an. Soll beispielsweise ein Windpark in der Nordsee neu gebaut werden, dann brauchen wir dazu Windräder, Schiffe und Arbeitskräfte. Eventuell sind die gerade vorhanden. Dann müsste die Bundesregierung das Geld einfach nur ausgeben. Die Arbeitslosigkeit wird reduziert, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigt, weil sich jetzt mehr Arbeitskräfte mehr leisten können. Sofern die Produktion von Konsumgütern ausgeweitet werden kann, ohne dass die Kosten steigen, werden wir keinen Anstieg der Inflation sehen. (Das ist übrigens Normalität: im Aufschwung der 2010er Jahre ist die Arbeitslosigkeit stetig gesunken bei relativ konstanter Inflationsrate.)

Die Grenzen der Wirtschaft: Ressourcen!

Ein Problem tritt dann auf, wenn die Bürgerinnen und Bürger dem Staat keine Windräder, Schiffe und Arbeitskräfte anbieten können. Dann könnte der Staat durch höhere Steuern die Bürgerinnen und Bürger dazu anhalten, entweder mehr Arbeit anzubieten, um ihr Einkommen konstant zu halten oder weniger zu konsumieren, so dass Windräder und Schiffe frei werden, die der Staat dann zum gängigen Marktpreis kaufen kann. Eine Vermögenssteuer könnte beispielsweise dazu führen, dass eine Luxusyacht weniger an norddeutschen Werften produziert wird. Die dadurch freigesetzten Produktionskapazitäten kann die Bundesregierung dann nutzen, um über einen Auftrag den Windpark in der Nordsee zu realisieren. Muss sie dabei erhöhte Preise bezahlen, dann steigt die Inflationsrate. Dies würde anzeigen, dass die Ressourcen knapp werden. Die Bundesregierung könnte mehr Arbeitskräfte ausbilden als Ingenieure, den Aufbau von neuen Werften fördern, eine staatliche Werft aufbauen oder eine eigene Produktion von Windrädern, oder diese aus dem Ausland importieren, usw.

Die Grenzen der öffentlichen Investitionen liegen also in den Ressourcen und nicht im Geld. Ist der politische Wille da, kann jede Bundesregierung das benötigte Geld ausgeben. Die Ressourcen sind allerdings knapp und begrenzt. Ressource, die der Staat verbraucht, stehen nicht mehr für unseren Konsum zur Verfügung. Daher sollte der Staat sich genau überlegen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten er anstößt. Zum Beispiel kann er den Hochschulen mehr finanzielle Mittel einräumen. Dabei muss gegeben sein, dass die Hochschulen damit auch das kaufen/bezahlen können, was sie brauchen: zusätzliche AkademikerInnen, mehr Gebäude, mehr Instandhaltung, usw. 

Wir müssen entscheiden, wofür wir unsere Ressourcen einsetzen wollen

Auf den ersten Blick ist es wohl realistisch, dass die Hochschulen mit mehr Geld auch das bekommen, was sie wollen. Eventuell könnte es im Bereich der Gebäudesanierung zu noch mehr Knappheit kommen, aber die höheren Bauzinsen wirken sich langsam auf die Bautätigkeit im privaten Sektor aus. Die freigesetzten Ressourcen könnten dann von den Hochschulen in Anspruch genommen werden, um den maroden Teil der Gebäude zu sanieren. Da es in Deutschland aktuell etwa 2,5 Millionen Arbeitslose gibt und noch Hunderttausende Unterbeschäftigte ist es unwahrscheinlich, dass eine Erhöhung der staatlichen Investitionen anderswo zu geringerem Konsum führt. 

Durch den Entzug von Ressourcen kann es sonst dazu kommen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger darüber ärgern, dass sie auf Konsum verzichten müssen. Sollten zum Beispiel die Bauzinsen wieder sinken und die Nachfrage nach neuen Häusern und Gebäudesanierung nimmt zu, dann könnten die Preise nun höher sein und die Wartezeiten länger. Das führt natürlich zu Frust, auch wenn vielleicht über die Zeit mehr Firmen in den Sektor Gebäudesanierung wechseln oder dort gegründet werden.

Öffentliche Investitionen und die Demokratie

Die WählerInnen werden dann für Oppositionsparteien stimmen, welche einen anderen Vorschlag zu staatlichen Nutzung von Ressourcen im Wahlprogramm unterbreiten oder sie versuchen, die Regierungsparteien zum Umlenken zu bewegen, indem sie zivilgesellschaftlich aktiv werden oder sich in Bewegungen engagieren.. So entscheiden wir in einer Demokratie darüber, welche öffentlichen Investitionen durchgeführt werden. Ein "Unterinvestition" wird dann genauso bestraft wie eine "Überinvestition". Im öffentlichen Diskurs werden dann Argumenten ausgetauscht, warum welche Investitionen als "Überinvestition" gelten sollten und warum das Unterlassen von gewissen Investitionen als "Unterinvestition" gilt. Ein derartiger Diskurs wäre ein großer Fortschritt zum heutigen Diskurs, der von einer vermeintlichen "Knappheit" des Geldes ausgeht und einer vermeintlichen "Nachhaltigkeit" von Staatverschuldung.