Die fehlende Makrofundierung der Mikroökonomik

30.05.2024

Die aktuelle Mikroökonomik hat ein Problem, weil sie Geld und Makroökonomik komplett ignoriert. Das ist ein wesentlicher Fehler. Die fehlende Makrofundierung der Mikroökonomik sorgt dafür, dass wesentliche Zusammenhänge ausgeblendet werden.

Ein typischer Kurs in Mikroökonomik beginnt mit einer Budgetgerade und zwei Gütern, die konsumiert werden wollen. Nehmen wir mal an, ein Pizzabote will Snickers kaufen und essen in den Varianten Peanut und Classic. Er steht dann vor dem Problem, dass er 5 Euro hat und dafür Güter x1 und x2 kaufen will, so dass der Nutzen des Konsums maximal ist. Also gibt es eine Nutzenfunktion mit Nutzen u1 und u2, die jeweils eine Funktion der Mengen x1 und x2 sind. Der Nutzen nimmt dabei ab, der erste Snickers Riegel bringt also mehr Nutzen als die folgenden.

Diese Art des Einstiegs in die Mikroökonomik ist weit verbreitet, eigentlich wird nirgendwo etwas anderes unterrichtet in einem ersten Mikro-Kurs, würde ich behaupten. (Wer Alternativen kennt, z.B. Lehrbücher, die anders beginnen, möge sich bitte bei mir melden.) Das Problem ist nur, dass das Geld und die Preise hier buchstäblich vom Himmel fallen. Woher hat denn der Pizzabote das Geld? Geld wird geschöpft und verausgabt, bevor der Pizzabote es vereinnahmt hat. Oder hat er sich einen Kredit bei seiner Bank genommen? Hier fehlt eine Makrofundierung der Mikroökonomik.

Ebenso wenig ist klar, woher die Preise kommen und die Produkte selbst. Wer hat denn die Preise gesetzt, ein Unternehmen? Auf Grundlage von Kosten oder auf Grundlage von Preisen der Wettbewerber oder der Nachfrage? Gibt es einen Vorrat an Snickers-Riegeln, so dass der Markt gar nicht geräumt wird? Und wenn ja, wie wird das Inventar finanziert? Die Firma kann ja nicht einfach auf Lager produzieren, sie muss für die Produktion Geld leihen und dass dann zurückzahlen. Dabei fallen Zinsen an, was die Firma zwingt, die Preise über den Kosten anzusetzen, denn aus dem Gewinn wird der Zins bezahlt. Auch hier fehlt eine Makrofundierung der Mikroökonomik.

Was ist, wenn der Pizzabote so handelt, wie alle anderen auch? Was ist, wenn das Fach mit den Snickers leer ist, weil der Markt geräumt ist? Kommt es dann zu steigenden Preisen und vielleicht gar Inflation? Wird es dann dazu kommen, dass Snickers-Riegel als Spekulationsobjekt gehortet werden, weil ihre erwartete Verzinsung überdurchschnittlich ist? Steigt der Lohn des Pizzaboten mit der Inflation oder reduziert sich seine Kaufkraft? Und werden eventuell Snickers-Riegel ins Ausland exportiert, weil die einheimischen Löhne zu niedrig sind, so dass im Inland weniger konsumiert als produziert wird? 

Der Einstieg in die Mikroökonomik erfolgt mit einem Beispiel, welches Geld abstrahiert und welches den Rest der Wirtschaft abstrahiert. Es fehlt die Makrofundierung der Mikroökonomik. Damit aber verschwinden wesentliche Fragen des Geldsystems aus der Sicht, denn die ganze Wirtschaft basiert auf Geld und Preisen in Geld. Diese komplett auszublenden und mit relativen Preisen zu arbeiten oder erfundenen ad hoc-Preisen erscheint wenig sinnvoll. Zudem fehlt jegliche Anknüpfung an Rohstoffe, Arbeitskräfte und Energie.

Natürlich ist der Einstieg in die Mikroökonomik nur möglich, indem irgendwelche Variablen als konstant bzw. außerhalb des Modells angenommen werden. Allerdings erscheint es vor dem Hintergrund der Probleme des 21. Jahrhunderts mehr und mehr zweifelhaft, den Einstieg so zu vollziehen, wie es in den letzten Jahrzehnten getan wurde. Ohne eine Makrofundierung der Mikroökonomik bleiben wesentliche gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge im Dunkeln, u.a. auch die Rolle der Staatsausgaben, die sowohl private Einkommen wie auch private Ersparnis erzeugen. Ebenfalls keine Rolle in der Mikro spielen die Sparwünsche der Akteure, die wiederum den Multiplikatoreffekt erzeugen.

Es wäre an der Zeit, die Mikroökonomik zu modernisieren: Mehr Realismus, mehr Geld, mehr Makro – mehr Erkenntnis.