Das Erbe von Steven Attewell

12.04.2024

Der US-amerikanische Ökonom Steven Attewell ist verstorben. Seine Arbeiten helfen uns, u.a. die Wirtschaftsgeschichte zu verstehen. Gerade im Bezug auf den New Deal in den USA haben seine Publikationen die Wahrnehmung dieser Periode verändert.

Steven Attewell ist verstorben. Seine Publikationen zur Wirtschaftsgeschichte haben einen großen Einfluss gehabt auf unsere Sicht auf die Vergangenheit. Da ich sein Buch „People must live by work“ erst kürzlich gelesen habe, möchte ich an dieser Stelle einige Punkte herausheben. Es geht dabei um die Interpretation der Großen Depression in den USA, insbesondere um den New Deal von Franklin Delano Roosevelt (FDR).

In seinem Buch arbeitet Attewell heraus, dass zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in den USA der Regierung FDR nur ein begrenztes Budget im Haushalt zur Verfügung stand, um das es einen Wettbewerb gab. Die große Frage war, welches der verschiedenen Beschäftigungsprogramme am meisten „bang for the buck“ entwickeln würde, welches also mit gegebenen fiskalischen Ressourcen (Geld) den größten Effekt auf die Beschäftigung entwickeln würde. Es konkurrierten dabei im wesentlichen Infrastrukturprogramme, die u.a. den Hoover Dam und die Golden Gate Bridge in San Francisco produzierten, und direkte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. In der öffentlichen Erinnerung sind es die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur, welche die meisten progressiven Ökonomen mit der Großen Depression in den USA verbinden.

Das ist allerdings falsch. Die US-Regierung schuf sehr viele Stellen über direkte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, indem u.a. Arbeiter für den Bereich „parks and playgrounds“ angestellt wurden. Sie sollten öffentliche Parks und Spielplätze verschönern und neu konstruieren. Ihren Lohn gaben sie wieder aus, was die Nachfrage nach Konsumgütern erhöhte. Dies wiederum war gut für die Firmen, die so mehr verkaufen konnten. Sie reagierten mit einer Erhöhung des Angebots, wodurch mehr Arbeiter eingestellt wurden. Dieser Multiplikatorprozess sorgte für das Ende der Großen Depression. Während mir noch erzählt wurde, dass erst der Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg zu Vollbeschäftigung in den USA führte, verweist Attewell auf S. 93 auf das NBER-Papier von Michael Darby von 1975 zu der Frage der Höhe der Beschäftigung. Hier ist der Abstract (Übersetzung mit DeepL):

„In den Standardschätzungen des BLS und von Lebergott zur Arbeitslosigkeit in den Jahren 1933-1943 ist ein großer konzeptioneller Fehler enthalten. Notstandsarbeiter (Angestellte von Bundesprogrammen wie dem WPA) wurden als arbeitslos gezählt, und zwar auf der Grundlage einer Definition der normalen zu schaffenden Arbeitsplätze und nicht der Arbeitslosigkeit von Arbeitssuchenden. Für die Jahre 1934-1941 wurden die korrigierten Arbeitslosenzahlen um zwei bis dreieinhalb Millionen Menschen und die Quoten um 4 bis 7 Prozentpunkte reduziert. Die korrigierten Daten zeigen eine starke Annäherung an die natürliche Arbeitslosenquote nach 1933 und lassen sich sehr gut durch ein Antizipationssuchmodell erklären, das die jährlichen Vollzeitverdienste verwendet.“

Nach den Daten von Darby lag die Arbeitslosenrate 1941 wieder bei 6 Prozent, was ein normaler Wert war. Der Unterschied ergibt sich übrigens dadurch, dass Lebergott die Beschäftigten im öffentlichen Sektor im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen („direct job creation“) nicht mitzählte, als er die Arbeitslosenraten berechnete. Sein Argument war, dass diese Beschäftigten ganz normal angestellt waren. Sie verdienten einen Lohn, konnten kündigen und gefeuert werden – genau wie Arbeiter in der Privatwirtschaft. Attewell zeigt also auf, dass der „New Deal“ sehr viel progressiver war, als das in den gängigen keynesianischen Erzählungen beschrieben wurde. Die Bundesregierung von FDR hat also durch die direkte Schaffung von staatlichen Arbeitsplätzen den sozialen Frieden wiederhergestellt, indem er Millionen von Arbeitern aus der Arbeitslosigkeit holte.

Heute könnten wir mit staatlichen Beschäftigungsmaßnahmen auch in der Eurozone die Beschäftigung dort erhöhen, wo wir aktuell immer noch Massenarbeitslosigkeit haben. Da wäre zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit in Italien, die immer noch bei deutlich über 20 Prozent liegt. Oder die griechische Arbeitslosigkeit, die mit über 10 Prozent immer noch skandalös hoch liegt. Menschen ohne bezahlte Beschäftigung sind in der Eurozone sehr wahrscheinlich arm. Insofern sind Beschäftigungsprogramme immer auch Armutsbekämpfungsprogramme, die den sozialen Frieden erhöhen. Allerdings werden derartige Lösungen in der Eurozone so gut wie gar nicht diskutiert, weil gerade vielen Keynesianer die Effektivität derartiger Maßnahmen in kapitalistischen Gesellschaften wie den USA in den 1930er und 1940er Jahren gar nicht bewusst ist. 

In der Weimarer Republik, wo derartige staatliche Beschäftigungsmaßnahmen unterlassen wurden, kamen dann 1933 die Nazis an die Macht und führten dann staatliche Beschäftigungsprogramme durch. Insofern dient es dem Schutz der Demokratie und der Sicherung des sozialen Friedens, wenn der Staat denjenigen, die arbeiten wollen und können, ein entsprechendes Angebot unterbreitet, z.B. im Rahmen einer Jobgarantie. Eine Gesellschaft, in der ein großer Teil der Arbeiter keine Beschäftigung hat, ist sozial ungerecht und daher politisch instabil. So hat Italien inzwischen eine rechtsextreme Regierung und auch in anderen Ländern sind rechtsextreme Bewegungen auf dem Vormarsch. Ohne neue wirtschaftspolitische Lösungen ist dieser Prozess wohl nicht aufzuhalten.