Das Ende der TARGET2-Salden-Debatte

30.06.2023

Am 5. Juni 2019 um 14:00 Uhr tagte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags zu den Anträgen von FDP (Kapitalmarktunion vertiefen, Staatsschulden entprivilegieren, TARGET2-Salden verringern) und AfD (Target-Forderungen unabhängig vom Fortbestand des Euros besichern). Am Ende war klar, dass TARGET2-Salden kein Thema sein sollten.

Hier ist ein Auszug aus dem Protokoll der Sitzung:

[Dirk Ehnts:] Angenommen, ein Spanier leiht sich für den Kauf eines BMWs Geld bei seiner Bank und überweist dieses nach Deutschland, so schuldet die spanische Bank dieses Geld der Geschäftsbank von BMW. Hierbei handelt es sich um Zentralbankgeld. Da die Banken momentan kein Vertrauen ineinander haben, wird sich die spanische Bank bei der Banco de España gegen Sicherheit Zentralbankgeld leihen. Dieses transferiert sie nach Deutschland auf das Konto, das die BMW-Bank bei der Bundesbank hat. Damit ist der BMW bezahlt, die Schulden sind beglichen.

Es wäre kein Problem, wenn der gesamte Vorgang ausschließlich über die EZB abgewickelt werden würde. Es gäbe dann keine TARGET2-Salden. Die Frage ist deshalb, weshalb es diese TARGET2-Sal- den gibt. Eigentlich führt man Bilanzen, weil man wissen möchte, ob ein Unternehmen zahlungsfähig und solvent ist. Bei der Bundesbank wird jedoch niemand bezweifeln, dass sie zahlungsfähig ist, bei der EZB ebenso wenig.

Deshalb stellt sich die Frage, warum wir eigentlich Zentralbank-Bilanzen haben. Wenn und solange Zentralbanken zahlungsfähig sind, kann nichts passieren. Die EZB erklärt auf ihrer Homepage, dass für den Fall, dass die EZB Verluste habe, sie diese Verluste gegen die Rücklagen aufrechnen müsste. Sofern es darüber hinaus Verluste gebe, würde man Posten mit der Bezeichnung "zukünftige Gewinne" kreieren und diese dagegen stellen. Es können also überhaupt keine TARGET2-Forderungsverluste ent- stehen. TARGET2-Forderungen sind deshalb reine Buchungsposten. 

Würden wir statt einer saldierten EZB-Bilanz alles auseinander dividieren und jeweils eine Bilanz für Spanien mit der Banco de España und eine für Deutschland mit der Bundesbank erstellen, könnten wir sehen, dass in der Bilanz der Banco de España beispielsweise 30 000 Euro fehlten, wohin- gegen bei der Deutschen Bundesbank 30 000 Euro mehr an Verbindlichkeiten stehen würden, weil das Geld dort gebucht wurde. Insofern gehen die Bilanzen nicht mehr auf. Wir haben in beiden Bilanzen eine Lücke. Und was tun wir, um diese "unschöne" Lücke aufzufüllen? Wir schaffen eine TARGET2-Forderung. Die heißt zwar so, es sind aber keine Schulden. Diese TARGET2-Salden beruhen auf Bilanzposten zum Ausgleich der Bilanz. Das ist so, als würde ich einen Schuldschein über 1 Million Euro besitzen, aber auf diesem Schuld- schein würde kein Fälligkeitsdatum stehen. Das sind keine Schulden. Das kann ich nicht einklagen, da keine Fälligkeit der Zahlung eintreten kann.

Die TARGET2-Diskussion geht eigentlich komplett am Problem vorbei. Die EZB hat diese Ausgleichs- posten eingeführt, damit die Bilanzen ausgeglichen sind. Es handelt sich hierbei aber nicht um Verbindlichkeiten oder Forderungen. Es verhält sich hiermit ähnlich wie mit dem Eigenkapital. Auch dieses steht in der Unternehmensbilanz auf der Passiv-Seite, stellt aber keine Verbindlichkeit dar und muss vom Unternehmen nicht bezahlt werden.

Sollte die spanische Bank beispielsweise der BMW- Bank das Geld nicht bezahlen, sondern die BMW- Bank die Zahlung stunden, dann würden diese Forderungen weiter bestehen, auch wenn der Euro zerbricht. Ansonsten, wie gesagt, ist der BMW bezahlt, und die spanische Bank hat das Geld geliefert. Wenn der Euro zerbrechen würde, und es wären noch TARGET2-Forderungen offen, so würde keiner irgendjemandem etwas schulden, da es sich um reine Bilanzposten handelt.

Kurz nach mir kam Isabel Schnabel zu Wort (zum zweiten Mal in der Sitzung) und sagte folgendes:

Was die Bewertung der TARGET2-Salden angeht, kann ich mich Herrn Dr. Ehnts weitestgehend an- schließen. Herr Hellwig hat das sehr ausführlich begründet. Wir haben in unserer gemeinsamen Stellungnahme noch einmal sehr ausführlich wiederholt, dass TARGET2-Salden keine Kredite sind. Es handelt sich bei dem, was in der Bilanz steht, letztlich um Konventionen. Die Posten stehen nicht zu fairen Werten in der Bilanz, und der faire Wert, den wir ausführlich in der Stellungnahme diskutiert haben, wäre eigentlich null. Das heißt, das ist eine Forderung, die einen Zeitwert von null hat. Diese Forderung kann natürlich aus- fallen, aber das wäre bei einem Zeitwert von null vielleicht gar nicht so schlimm.

Seitdem ist die Debatte über TARGET2-Salden völlig zurecht gestorben. Die ganze Debatte basierte auf kruden Ideen und viel Moral, und funktionieren konnte das ganze politisch nur, weil die meisten Menschen nicht verstehen, wie Geldschöpfung funktioniert. In meinem Buch „Geld und Kredit: Eine €päische Perspektive" hatte ich von der 1. Auflage (2014!) an beschrieben, woher die TARGET2-Salden kommen und dass das keine Schulden sind. Es ist eminent wichtig, dass Öffentlichkeit sowie Politik und Presse ein gutes Verständnis davon haben, wie der Staat Geld ausgibt, was genau Zentralbanken machen und wie das Geld zirkuliert. Die Kosten der Ignoranz sind verschwendete Jahre, die unseren Wohlstand reduzieren, weil wir die falschen Fragen diskutiert haben. 

Es ist zu hoffen, dass in der heutigen Zeit Geld-Themen ernster genommen werden als damals in der Folge der Globalen Finanzkrise. Ja, das Thema Geld ist schwierig. Aber das kann keine Entschuldigung sein, in der öffentlichen Debatte die falschen Fragen zu diskutieren. Zuletzt lief die Wirtschaftspolitik als Antwort auf die Krise deutlich besser als in den 2010er Jahren. Damals hatte sich die Politik gefragt, wie nur die Staatsverschuldung reduziert werden könne. Als Antwort wurden Staatsausgaben gekürzt, was zu Massenarbeitslosigkeit und einem Einbruch der Wirtschaft führt – und dadurch auch zu sinkenden Steuereinnahmen und steigender Staatsverschuldung! Eine Wiederholung dieser Fehler wäre politisch fatal und würde die europäischen Gesellschaften enorm unter Druck setzen. Die Reallohnverluste der ArbeitnehmerInnen sind schon historisch hoch und eine Folge der Umverteilung von Einkommen, denn die Gewinne sind ja konstant mit den Preisen gewachsen. Die Politik ist aufgerufen, diese Krisenfolge aufzuarbeiten. Andere Debatten sollten jetzt nicht den Vorrang bekommen.