Das Ende der niederländischen Gasförderung
Die Niederlande beenden am 1. Oktober ihre finanziell lukrative Gasförderung, weil die Erdbebengefahr in der Region Groningen zu hoch ist. Die gesunkenen staatlichen Einnahmen werden Auswirkungen auf die staatlichen Defizite haben. Die Politik sollte flexibel reagieren.
Reuters berichtete (eigene Übersetzung):
„Das Gas aus dem Groningen-Feld hat seit Beginn der Förderung in den 1960er Jahren schätzungsweise 363 Milliarden Euro (395 Milliarden Dollar) in die niederländische Staatskasse gespült und damit den Grundstein für den Wohlfahrtsstaat des Landes gelegt.“
Etwa 360 Mrd. € in etwa 60 Jahren ergibt durchschnittliche jährliche Einnahmen von 6 Mrd. € für den niederländischen Haushalt. Bei einem Gesamthaushalt von etwa 300 Mrd. € sind das immerhin 5 Prozent. Allerdings finanzieren Steuereinnahmen den niederländischen Staatshaushalt nicht – zumindest nicht den Teil auf nationaler Ebene. Dieser wird durch Geldschöpfung der niederländischen Zentralbank erzeugt. Sinkende Steuereinnahmen haben also keine Auswirkung auf die Staatsausgaben, solange nur die nationale Regierung betroffen ist.
Die sinkenden Einnahmen führen allerdings zu höheren staatlichen Defiziten bzw. niedrigeren Überschüssen und damit zu höherer Staatsverschuldung. Und das bedeutet, dass eventuell ein Konflikt mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt bzw. dessen Defizitregeln droht. Diese schreiben vor, dass das staatliche Defizit – die Differenz zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen – nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen darf. Nach einem Defizit von 20 (!) Prozent im Jahr 2021 hatte die niederländische Regierung 2022 eine schwarze Null aufgeschrieben. Sofern staatliche Überschüsse die Regeln sind, wäre der Verlust der Einnahmen aus dem Gasgeschäft kein Verlust. Wenn allerdings Defizite auftauchen und relevant werden, weil sie die Staatsausgaben reduzieren (weil die Politik Angst hat, „exzessive” Defizite zu verursachen), dann haben die Niederlande ein fiskalisches Problem.
Die Ressourcen in den Niederlanden verändern sich ja nicht, abgesehen von dem Wegfall des Gasvorkommens. Insofern gibt es keinen Grund für die Regierung, ihre Ausgaben einzuschränken. Der Wohlfahrtsstaat hat alle Ressourcen, die er nach aktuellen Vorstellungen braucht. Eine Einschränkung des Wohlfahrtsstaats ist also nicht angezeigt – diese würde nur zusätzliche Arbeitslosigkeit erzeugen. Es ist zu hoffen, dass den Niederlanden eine unsinnige Debatte über Kürzungen des Wohlfahrtsstaates erspart bleibt. Wie in Deutschland deutlich zu erkennen ist, braucht ein Land zum Aufbau eines Wohlfahrtsstaates kein Geld aus dem Verkauf von Erdgas oder anderen Rohstoffen. Benötigt werden politischer Wille und die Ressourcen, deren Einsatz dazu führen, dass öffentliche und private Güter und Dienstleistungen innerhalb des Wohlfahrtsstaats bereitgestellt werden. Defizitgrenzen sind dabei eher hinderlich, denn sie tragen nichts zum Gelingen bei.